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Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
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ebenso die Glasscherben. Ihn hatte die vage Idee gestreift, er könnte den Rucksack irgendwo im Wald liegen lassen und alles loswerden, was damit zusammenhing.
    Er ging ans obere Ende des Rastplatzes, zögerte einen Augenblick und stieg dann über den dicken Baumstamm, der die Parkfläche begrenzte.
    Henrickson wartete, bis der Mann ein paar Schritte den Wanderpfad hinauf getan hatte, und schaute sich noch einmal um. Einen Augenblick lang hatte er das Gefühl im Nacken gespürt, beobachtet zu werden. Er ließ den Blick langsam schweifen, ohne etwas erkennen zu können. Seltsam. Gewöhnlich trog ihn sein Gefühl nicht.
    Er schaute zu Kozelek hinüber und sah, dass dieser stehen geblieben war. Kaum war es richtig losgegangen, stieg die Begeisterung seines Schützlings, wie er richtig vorausgesehen hatte.
    »Hier geht’s lang.«
    Henrickson stieg über den Baumstamm und folgte ihm in den Wald.
     
    Obwohl sich im Westen Wolken auftürmten, schien die Sonne hell und kräftig. Tiefe Schatten lagen auf dem unberührten Schnee. Die beiden Männer gingen eine ganze Weile bergan, ohne viel miteinander zu reden. Die Straße lag schon weit hinter ihnen, und außen ihrem Atem und dem Knirschen der Stiefel im Schnee war nichts zu hören.
    »Sie scheinen ja ganz zuversichtlich, mein Freund. Erinnern Sie sich, hier vorbeigekommen zu sein?«
    »Erinnern wäre zu viel gesagt. Aber … ich erkenne das Gelände. Das mag blöd klingen, und ich bin ja wirklich kein Naturbursche, aber …«
    Er hielt an und zeigte auf die Bäume und den Berghang. »Welche Richtung würden Sie sonst einschlagen?«
    Henrickson nickte. »Manche Leute haben überhaupt keinen Orientierungssinn. Die funktionieren wie ein Spielzeug mit Aufziehmechanismus. Die marschieren stur in eine Richtung, bis sie an eine Mauer stoßen. Andere hingegen fühlen sich ein. Sie wissen intuitiv, wo sie sind. Mit der Zeit ist es übrigens ganz genauso. Wie spät ist es jetzt wohl, was meinen Sie? Lassen Sie sich einen Augenblick Zeit. Denken Sie darüber nach, nein: Fühlen Sie sich ein. Wie spät ist es Ihrem Gefühl nach?«
    Tom überlegte. Er hatte keine Ahnung, wie viel Uhr es sein könnte. Aber vielleicht war eine halbe Stunde vergangen, seit sie aufgebrochen waren.
    »Halb elf.«
    Der Mann schüttelte den Kopf. »Näher an elf Uhr. Fünf vor elf, würde ich sagen.« Er streckte den Arm und schaute auf seine Armbanduhr. Wieder ein Grinsen, dann hielt er die Uhr Tom unter die Nase. »Was sagen Sie jetzt? Vier vor elf.«
    »Sie könnten vorher schon mal nachgeschaut haben.«
    »Richtig, aber tatsächlich habe ich es nicht getan.«
    Tom blieb stehen. Sie näherten sich einem Bergkamm, und er war sich nicht sicher, welche Richtung nun einzuschlagen war. Henrickson ging ein paar Schritte zurück und schaute sich um. Tom merkte, dass ihm der Mann Gelegenheit geben wollte, sich neu zu orientieren, und dafür war er ihm dankbar. Es war schon eine ganze Weile her, dass ihm jemand zugetraut hatte, sich auszukennen. William und Lucy waren jetzt in einem Alter, wo sie eher seine Fehler erkannten. Und Sarah kannte ihn sowieso in- und auswendig. Für sie war er ein offenes Buch. Der Fluch des Mannes in den mittleren Jahren bestand in dem Wissen – oder Glauben –, bereits alles gesagt zu haben, was es zu sagen gab. Sobald sich dieses Gefühl einmal eingestellt hatte, wünschte man sich irgendetwas, was dieses Gefühl widerlegen könnte. Und dann begann man Fehler zu machen, und alles wurde nur noch schlimmer.
    »Wir müssen in diese Richtung«, entschied er schließlich und wandte sich nach rechts.
    »Immer dem Gefühl nach.«
    Die folgenden zwanzig Minuten ging es steil bergauf, und es dauerte eine Weile, bis beide wieder Atem geschöpft hatten, um zu reden. Der Weg führte nun auf der anderen Seite des Bergkamms abwärts, um dann in einiger Entfernung noch steiler anzusteigen. Auch diese Berghöhe kam ihm nicht bekannt vor, aber irgendwie schien es doch der richtige Weg zu sein.
    Tom warf einen Seitenblick auf den Journalisten, der mit federnden Schritten neben ihm ging. »Sie sind schon lange hinter Bigfoot her, oder?«
    »Das kann man wohl sagen.«
    »Wieso glaubt keiner daran?«
    »Oh, geglaubt wird es schon«, sagte er. »Nur ist das eine Sache, die sich schwer in das Weltbild einfügt, das wir alle haben sollen. Es will eben keiner dumm aussehen, so funktioniert unser gängiges Weltbild. Sobald man sich nicht geniert, einmal verblüfft zu sein, öffnet sich die Welt wie eine

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