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Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
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Platz. Das ist das ganze Problem, plötzlich fällt es einem wie Schuppen von den brennenden Augen, das ist
in nuce
das ganze Scheißleben. Nie findet sich ein ruhiges Plätzchen, wenn man es wirklich nötig hat. Manchmal braucht man keinen Aussichtspunkt, manchmal möchte man bloß endlich einmal …
    Scheiße – da war einer.
    Tom trat drei Sekunden zu spät und viel zu hart auf die Bremse. Der Wagen schleuderte mit ausbrechendem Heck gut zehn Meter, ehe er, quer über beide Fahrbahnen stehend, zum Halten kam. Tom saß mit einem prickelnden Gefühl im Nacken eine Weile regungslos da. Durch die Fensterscheibe kam kalte Luft und das Geräusch eines Vogels, der unbeirrt weiterkrächzte. Wäre ihm jemand entgegengekommen, hätte es böse ausgehen können. Was eine bittere ironische Pointe ergeben hätte, doch auch das wollte er nicht. Er war auch so schon unbeliebt genug.
    Er brachte den Wagen wieder in die richtige Richtung und fuhr langsam zur Einfahrt des Rastplatzes. Sarah wäre in einem Schwung rückwärts hineingefahren, aber er brachte das nicht fertig. Er traute es sich nicht zu, deshalb versuchte er es gar nicht erst. Das war schon immer seine Art gewesen. Verbirg deine Fehler. Bewahre deine Geheimnisse. Vermeide das Risiko, wie ein Narr dazustehen, auch wenn das heißt, sich wie ein Narr zu benehmen, und ein feiger obendrein.
    Er fuhr vorwärts auf den kleinen Rastplatz. Das Bodenblech kratzte, als er über die zwei Handbreit hohen Schneereste setzte, die der Schneepflug hinterlassen hatte. Der Rastplatz gehörte zu einem der weniger bekannten Wanderwege, die außerhalb der Saison gesperrt waren. Erst als der Wagen wieder still stand, bemerkte Tom, dass seine Hände heftig zitterten. Er griff nach der Flasche auf dem Beifahrersitz und nahm einen tüchtigen Schluck. Dann schaute er in den Rückspiegel, sah aber wie erwartet nur blasse Haut, braunes Haar, Tränensäcke unter den Augen und ein beginnendes Doppelkinn. Womit sich Männer in den mittleren Jahren tarnen.
    Er öffnete die Fahrertür und ließ die Schlüssel in die Seitentasche gleiten. Es ergab keinen Sinn, es zu offensichtlich zu machen. Er schwang sich aus dem Wagen, rutschte sofort auf einem glatten Stein aus und fiel der Länge nach hin.
    Mühsam rappelte er sich wieder auf. Seine Handflächen zeigten blutige Schrammen, und auch an Stirn und rechter Wange schien er zu bluten. Der rechte Knöchel tat ihm weh. Das Gesicht mit feinem Splitt gespickt und ernüchtert durch den Schock, wurde ihm jetzt klar, dass er wirklich im Begriff war, das Richtige zu tun.
    Er holte seinen Rucksack aus dem Kofferraum und schloss ihn wieder. Der satte Laut des schließenden Kofferraumdeckels weckte in ihm ein Gefühl, dass ihm der Wagen nicht gleichgültig war. Er prüfte, ob die Türen verriegelt waren, dann stieg er über die niedrige Absperrung aus Holz und marschierte in den Wald hinein, und zwar absichtlich in die dem Wanderweg entgegengesetzte Richtung.
    Der Vogel, oder ein ihm sehr ähnlicher einer anderen Art, krächzte immer noch. Tom versuchte, ihn zum Schweigen zu bringen, erst mit Worten, dann nur noch mit Geräuschen. Der Vogel verstummte, begann aber wenig später von neuem. Tom verstand, was das bedeutete. Hier war er nur ein Geräusche produzierendes Lebewesen neben vielen anderen, also in keiner Weise befugt, Befehle zu erteilen.
    Er kümmerte sich nicht weiter um den Vogel und konzentrierte sich darauf, nicht wieder auszugleiten.
     
    Er kam nur mühsam voran. Nun wurde ihm klar, warum es hier keine Rastplätze gab. Der Wald war nicht zur Erholung oder für sonst irgendetwas geeignet. Hier gab es keine ausgeschilderten Pfade, keine Schutzhütten oder Imbissautomaten, nichts von den gewöhnlichen Vermittlern zwischen dem Rohen und Gekochten. Das war ihm nur recht. Er hatte nur noch wenige Bedürfnisse, und für die hatte er vorgesorgt. In seinem Rucksack befand sich fast nur Alkohol; er hatte bei einem Halt die Flaschen neu gepackt, damit sie nicht klirrten. Ein Mittel gegen die Lebensmüdigkeit war es nicht, das wusste er, man ertrug nur die eigene Mediokrität besser. Zurzeit fühlte er sich nicht brillant, aber er hielt sich tapfer.
    Nach zwei Stunden hatte er seiner Schätzung nach erst drei Meilen geschafft, obwohl er die Region der Birken und Hartriegelsträucher hinter sich gelassen hatte und nur noch zwischen Fichten und Wacholder wanderte. Hier oben war der Boden zum größten Teil schneefrei, dafür machten ihm das viele Bruchholz und

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