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Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
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ragte. Unter dem Staub war das Haar der Puppe grau geworden.
    Nachdem sich meine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, entdeckte ich weitere vertrocknete Leichenteile. Ein kleiner, sorgsam aufgerichteter Stapel befand sich an der linken Wand. Ich berührte den Stapel mit dem Fuß und sah, dass darunter noch eine Schicht Knochen lag. Eine dicke Schicht, von der manches nur noch Staub war.
    Wir ließen die Arme sinken und schauten uns an. Keiner der hier Versammelten konnte uns gefährlich werden.
    Zandt räusperte sich. »Haben sie das getan?«
    »Die Straw Men? Schon möglich. Aber manche von den Toten sind schon sehr viel länger hier.«
    Zandt wollte die Hütte durchsuchen, aber ein Blick verriet mir, dass wir nichts finden würden. Wer in dieser Hütte jemanden umbrachte, der konnte sich Zeit lassen. Außerdem wollte ich nicht länger bleiben. Ganz und gar nicht. Je länger man sich hier aufhielt, desto mehr hatte man den Eindruck, dass die ganze Hütte atmete, stickige Luft ausdünstete. Ich wollte nach draußen.
    Ich ging rückwärts über die Schwelle und schaute noch einmal hinein. Jetzt überraschte es mich weniger, dass das Holz an manchen Stellen braun geblieben war. Das Böse, das hier geschehen war, schien in die Wände eingedrungen zu sein und hielt sie feucht und lebendig. Was immer hier stattgefunden hatte, es musste über einen langen Zeitraum geschehen sein. Das war nicht das Werk eines Menschen, sondern mehrerer, vielleicht sogar mehrerer Generationen. War es lediglich ein Depot für Leichen, oder sollten ihre stille Präsenz und die Art und Weise, wie sie aufbewahrt wurden, irgendetwas Rätselhaftes bedeuten? Ich dachte an das weite Amerika mit seinen menschenleeren Landschaften und fragte mich, ob dieses Totenhaus wohl das einzige im ganzen Land war.
    Zandt trat auch nach draußen, blieb aber plötzlich stehen und starrte über meine Schulter hinweg etwas an.
    Ich folgte seinem Blick und sah, was er bemerkt hatte. Es war einige Meter entfernt auf der anderen Seite der Schlucht und so plaziert, dass es ins Auge fiel, wenn man aus der Hütte trat.
    Ich ging ein paar Schritte näher heran. Diese Leiche war erst seit kurzem hier. Sie war nicht so absichtsvoll aufgestellt worden wie das Paar auf der Hochebene. Sie lag mit ausgestreckten Armen und einem angewinkelten Bein auf dem Boden. Etwas Braunes war ihr an die Brust geheftet, unübersehbar genau in die Mitte. Ich konnte mich nicht erinnern, so etwas schon einmal gesehen zu haben, aber die unnatürliche Leere, die der offene Mund des Mannes zeigte, ließ nur einen Schluss zu.
    »Ist das der Informant? Ist das Joseph?«
    Zandt brauchte gar nicht zu antworten.
     
    Der Weg zurück zum Wagen war lang. Dann fuhren wir ohne ein weiteres Wort dem Columbia River folgend Richtung Portland.
    Auf dem Flughafen nahm jeder ein Flugzeug in eine andere Richtung. Wir sahen uns erst nach einem Monat wieder, und bis dahin hatte sich alles geändert.

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    Teil eins Kalte Häfen
    Fügen mag sich’s, ich glaub’s,
    fand ich’s auch nie,
    dass sich manch Wort erfüllt …
    Lord Byron,
    Ritter Harolds Pilgerfahrt,
    Dritter Gesang, 114

1
    N ie ist ein Rastplatz da, wenn man einen braucht. Da fährt man und fährt, Wald auf beiden Seiten, Lichtergefunkel im Auf und Ab der Straße, Spalier stehende Birken rahmen flimmernde Ausblicke von solch schneeiger Schönheit, dass man sie gar nicht richtig sieht, und dabei immer der Gedanke, gleich nach der nächsten Kurve muss doch ein Rastplatz kommen, aber aus irgendeinem Grund ist da keiner. Es ist Dienstagnachmittag, ein wolkiger Tag Mitte Januar, allein schon dieser Umstand scheint merkwürdig, eine ungewöhnliche Zeit für das, was man sich vorgenommen hat. Man hat die Straße vermutlich auf fünf Meilen in beiden Richtungen für sich allein. Man könnte den Wagen einfach am Straßenrand abstellen, aber das scheint nicht richtig. Obwohl es nur ein Mietwagen ist und man nichts anderes damit verbindet, als dass es der letzte Wagen ist, den man jemals fahren wird, möchte man ihn doch nicht einfach am Straßenrand stehen lassen. Nicht aus Sentimentalität, nein. Man will auch gar nicht unbedingt vermeiden, dass jemand den Wagen sieht, sich fragt, ob da etwas passiert sein könnte, und dann womöglich nachschauen kommt. Es ist einfach nur eine Sache der Ordnung. Der Wagen soll vorschriftsmäßig geparkt sein, irgendwo in Ruhe stehen. Gerade jetzt scheint das sehr wichtig zu sein, aber es gibt nirgends einen passenden

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