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Engel des Vergessens - Roman

Engel des Vergessens - Roman

Titel: Engel des Vergessens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wallstein Verlag
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die Pullover und Jacken, die sie um die Schultern gelegt haben, fasern an den Ärmeln und Rändern aus.
    Vater repariert auf einer Bank sitzend eine Säge, die er Amerikanerin nennt. Er hämmert mit leichten Schlägen auf der Säge herum. Sie wippt im Takt und gibt Summtöne von sich.
    Du bringst die Säge zum Tanzen, sagt Michi. Sobald ich sie in deine Hände lege, hat sie gute Laune. Onkel Jozi erzählt seinen Kollegen, dass er Radiosendungen machen möchte, ja, er habe schon ein Aufnahmegerät bei der slowenischen Abteilung des Österreichischen Rundfunks beantragt, er werde mit den Leuten reden und die Gespräche aufzeichnen. Wenn seine Kollegen nichts dagegen hätten, würde er auch eine Geschichte über sie, die Holzfäller des Grafen Thurn, gestalten.
    Ihr seid keine Holzfäller mehr, sagt Vater, ihr habt euch schon längst aus dem Wald verabschiedet.
    Man müsse schauen, wo man bleibt, antwortet Michi, man könne nicht jeden Tag in den Wald gehen, als ob es nichts anderes gäbe, als ob man keine andere Möglichkeit hätte, sein Geld zu verdienen. Er sei den Sozialisten beigetreten. Man habe ihm versprochen, ihn anderswo unterzubringen.
    Du willst in die Politik, fragt Vater, aber Bürgermeister wirst du nie, das werden sie nicht zulassen, dich, einen Slowenen, als Bürgermeister, nie!
    Das verstehst du nicht, sagt Michi.
    Ich versteh, was ich verstehe, meint Vater.
    Er berichtet, dass er in dieser Woche vom Mozgan-Grat, wo er gerade Holz für die Bauern fällt, über die grüne Grenze auf die slowenische Seite zum Kumer auf ein Bier gegangen sei. Die Frauen hätten ganz schön gestaunt, dass er sich über die Grenze gewagt habe. Man habe ihn nach den Leuten aus Lepena gefragt und ihm aufgetragen, alle Bekannten zu grüßen. Danke, danke, sagen die Holzfäller und machen sich zu Fuß auf den Heimweg. Nur Jozi steigt auf ein Motorrad und fährt, mit einer Hand winkend, davon.
    * * *

Wo ist eigentlich die Grenze, frage ich Vater.
    Da oben, sagt er und zeigt auf den Grat, der im Halbrund das Tal abschließt.
    Ich möchte einmal mit dir zur Arbeit gehen, sage ich.
    Vater ist von meiner Bitte so überrascht, dass er mir verspricht, mich am nächsten Tag in den Schlag mitzunehmen, er müsse sowieso noch Werkzeug hinauftragen.
    In der Früh steht sein Motorrad vor dem Stall, eine Puch-Maschine mit dunkel glänzendem Tank, der aussieht wie der Rumpf eines schwarzen Delphins. Vater bindet den prall gefüllten Rucksack mit Werkzeug und einen Kanister mit Benzin auf dem Gepäckträger fest. Ich setze mich auf den Hintersitz und lege vorsichtig die Arme um seine Körpermitte. Er sagt, ich solle mich fest an ihn drücken, damit ich während der Fahrt nicht vom Motorrad falle. In der ersten Kurve ruft er, du wackelst, halte dich fest, sonst kommen wir ins Schleudern. Nach anfänglicher Angst, die mich überkommt, wenn Vater abbremst und in eine Kurve fährt, lasse ich mich auf den Geraden von seinen Beschleunigungen mitreißen.
    Hinter dem Mozgan-Hof stellt er das Motorrad ab, schiebt ein paar Eisenklammern hinter seinen Hosengürtel und schultert den Rucksack. Wir beginnen langsam zu gehen. Das Benzin im Kanister blubbert. Im steilen Gelände muss man spazieren, sonst kommt man außer Atem, sagt Vater. Dann beschleunigt er seine Schritte. Ich bleibe zurück und nehme auf ebenen Wegabschnitten Anlauf, um ihn einzuholen. Bist du im Krieg hier gewesen, frage ich.
    Ja, wir hatten höher oben einen Bunker, sagt er. Dein Großvater hat den Kurierposten geleitet. Ich habe gekocht. Es war sehr gefährlich.
    Hast du Angst gehabt, frage ich.
    Wird schon so gewesen sein, ich war ja noch ein Kind, ein paar Jahre älter als du.
    Hinter unseren Rücken hört man ein aufgescheuchtes Wild flüchten.
    Es hat uns in die Nase bekommen, sagt Vater.
    Unter dem Waldkamm, zwischen mächtigen Fichten, deren dichte Äste fast bis zum Boden reichen, kommt eine Hütte zum Vorschein. Sie ist zur Gänze mit Rinden bedeckt, die Schicht für Schicht auf ein darunterstehendes Holzgerüst genagelt wurden. Hier haben wir früher geschlafen, sagt Vater, wenn wir Holz geschlägert haben. Er schließt das Schloss auf und verstaut Werkzeug und Kanister neben den unbenutzten Pritschen.
    Ich muss noch zum Schlag, sagt er, dann können wir über die Grenze gehen.
    Sein Arbeitsplatz wirkt aufgeräumt und ist von Aststapeln markiert. Geschälte und ungeschälte Bloche liegen gegliedert am Boden, mit Aststummeln oder geputzt, wie Vater sagt, dazwischen duftende,

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