Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engel des Vergessens - Roman

Engel des Vergessens - Roman

Titel: Engel des Vergessens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wallstein Verlag
Vom Netzwerk:
Rucksäcken baumeln die Häupter des Schalenwilds, das angesprochen worden ist mit der Waffe, das gefallen hat und deshalb gefallen ist. Aus dem Windfang tropfen noch Blut und Schweiß, der Tau des letzten Atems, den die Tiere eingesogen haben. Ihre dunklen Lichter brechen noch lange am zarten Haupt, ihre Schädelknochen, von Decke und Haar befreit, köcheln noch lange im Wasserstoffwasser, bis sie gebleicht, als Trophäen, aus dem Kochtopf genommen werden.
    Das Jagen gehört zum Familienmythos, jeder Jagdtag ein Festtag, so sei es von jeher gewesen, sagt Vater. Noch pflegt er in der Morgendämmerung und am Abend auf die Pirsch zu gehen, seine Büchsen und Flinten zu ölen, das Fernrohr zu putzen, die Patronen zu zählen. Noch wird in der Küche Wildfleisch gekocht und geschmort, wecken die Dünste der Gamssuppen unseren Appetit. Noch gehen im Haus seine Jagdfreunde aus und ein und erzählen Geschichten. Noch freut er sich auf die jährliche Treibjagd, auf die Brackade, zu der er mich mitnehmen will, weil ich gut gehe.
    Als es so weit ist, wird die Treibjagd am frühen Morgen besprochen, werden die Jäger mit heißem Tee und Krapfen bewirtet. Das Gelände wird eingeteilt, Waldabschnitte werden zugeordnet, die Stände bestimmt. Ich soll mit dem alten Pop gehen, den ich gut kenne. Pops Gesicht sieht aus wie eine grobkörnige Sandlandschaft. Er ist der Älteste in der Runde und, wie man sagt, der mit den schlechtesten Augen. Einmal habe man ihn und sein Augenlicht auf die Probe gestellt, wird erzählt, und habe eine Hauskatze in ein Hasenfell gesteckt, der Katze das Hasenfell übergezogen und es mit Schnüren an ihren Körper befestigt. Die Katze habe sich wütend und kratzend auf den nächstbesten Baum gerettet und Pop habe seinen Augen nicht trauen wollen, weil er, und das könne er jederzeit beschwören, den ersten Hasen gesehen habe, der auf einen Baum geklettert ist.
    Großmutter zieht mich zur Seite. Sie habe gehört, dass die Jagd beim Gregoric beendet werden solle. Ich müsse die alte Gregoricka von ihr grüßen. Sie hat mich aus dem Lager getragen, als das Lager geräumt wurde und ich zu schwach war, um zu gehen, sagt Großmutter. Drei Tage lang hat mich die Gregoricka getragen, gestützt und mit einem Schubkarren gefahren, bis die SS verschwunden war. Die Gregoricka sei in Auschwitz verrückt geworden, noch bevor sie nach Ravensbrück überstellt worden war, und habe von da an geflucht, der Teufel, der sie ins Lager gebracht habe, solle sie auch wieder hinausführen. In ihrer Jugend sei sie eine kräftige Frau gewesen, die es mit jedem Mann aufnehmen habe können, erzählt Großmutter. Ich nicke und sage, ich richte die Grüße aus.
    Pop hält mich an der Hand, während wir zu unserem Waldabschnitt gehen und mit den Stöcken gegen Bäume und Büsche schlagen. Die Jäger haben ihre Flinten über die Schultern gelegt und sind uns vorausgeeilt. Die Hunde treiben Hasen und Füchse in ihre Richtung, man hört nur vereinzelte Schüsse, wir sehen nur wenige Tiere an uns vorbeiflüchten.
    Die Strecke, die am Nachmittag vor dem Gregoric-Hof gelegt wird, ist kurz wie die Totenwache und der Schnaps bald vertrunken. Wir werden in die Bauernstube gebeten, man habe Gulasch gekocht, für den Schüsseltrieb, wie es heißt. Die alte Gregoricka sitzt auf der Bank neben dem Tisch. Ich trete zu ihr, um ihr die Grüße von Großmutter auszurichten, und gebe ihr die Hand. Ihre ist kalt und feucht. Sie riecht nach Urin. Die Gregoricka versteht nicht, wer sie grüßen lässt, und blickt mich mit leeren Augen an. Sveršina versucht zu vermitteln. Die alte, mächtige Frau nickt und schaukelt ihren kräftigen Körper hin und her, während wir essen. Ich beobachte sie von der Seite und muss an Großmutter denken und daran, wie diese Gregoricka imstande gewesen war, Männer durch die Luft zu werfen und meine geschwächte Großmutter aus dem Lager zu tragen.
    Ein Jäger erzählt, dass sein Nachbar, der gerade gestorben ist und der während des Krieges bei den Partisanen gewesen war, ihm einmal erzählt habe, dass er auf der Wache, nicht auf dem Ansitz, einen weißen Hirsch erspäht und die Eingebung gehabt habe, dass sein Partisanenbunker verraten werde. Er habe die Kämpfer gewarnt, aber sie hätten nicht auf ihn hören wollen. Am nächsten Tag sei der Bunker tatsächlich von der Polizei angegriffen worden. Das sei ein Zeichen gewesen, man müsse die Zeichen beachten, sagt der Jäger. Sveršina hält das für Unsinn, Eingebung, was für

Weitere Kostenlose Bücher