Engel in meinem Haar - Die wahre Geschichte einer irischen Mystikerin
Schulwechsel bedeutete und wir uns außerdem neue Freunde suchen mussten. Da es in unserem Viertel keine Schule gab, hatten wir allmorgendlich einen langen Weg vor uns: durch die neue Wohnsiedlung hinunter in den alten Ort, und dann hinter der Kirche zur großen Straße, denn die Schule lag direkt an der Hauptverkehrsader. Meine Klasse war in einem völlig überfüllten Fertigbau untergebracht, die Bänke dicht zusammengepfercht. Es gab immer ein fürchterliches Gedränge, bis jeder seinen Platz erreicht hatte – man musste praktisch über seine Mitschüler klettern. Ich war sehr glücklich in Edenmore, zwar hatte ich keine wirklichen engeren Freunde, doch verbrachte ich viel Zeit bei einer der Nachbarsfamilien, den O’Briens. Liebstes Familienmitglied war mir deren Schäferhündin Shane. Dreimal in der Woche übernahm ich es, Shane auszuführen, und auf einem dieser Spaziergänge trafen wir einen anderen besonderen Engel.
Ich nenne sie den »Baumengel«, denn sie erscheint nur in Bäumen. Seit damals bin ich ihr oft begegnet und sehe sie noch heute immer wieder. Sie strahlt in allen nur vorstellbaren Schattierungen von Smaragdgrün, Grüngold und Grünorange – einfach prachtvoll. Sie scheint sich jedes Mal über den gesamten Baum zu verteilen, und
doch ist sie für mich ganz deutlich sichtbar: Sie hat lockiges Haar mit großen Wellen, ihre Augen glitzern wie Goldstaub und wenn sie sich bewegt, scheint alles an ihr in Bewegung zu geraten. Wenn sie die Arme ausstreckt und mir ihre Hand hinhält, bewegt sich der Baum mit ihr. Ich habe mich oft mit ihr unterhalten, ihre Stimme ist ein Flüstern, sie gleicht einem leisen Rascheln im Laub der Bäume.
Ich erinnere mich noch gut an jenen Tag, als ich mit Shane draußen spazieren ging, erst durch das Feld und dann zurück in Richtung unserer Siedlung. Shane stoppte plötzlich und bellte einen großen Baum auf der linken Seite an. Ich betrachtete den Baum, konnte aber nichts Auffälliges daran feststellen. Lachend fragte ich Shane: »Wen oder was bellst du denn hier an?«
Dann erblickte ich sie: den »Baumengel« – Shane hatte sie vor mir entdeckt. Die Erinnerung daran erheitert mich noch heute und es verblüfft mich immer wieder, wie leicht Tiere einen Engel erkennen.
Auf dem Heimweg von der Schule spielte ich manchmal mit anderen Kindern zusammen im Steinbruch. Doch eines Tages übte das Tor des angrenzenden Klosterareals eine stärkere Anziehung auf mich aus. Wir hatten da zwar nicht das Geringste zu suchen, aber ich schob trotzdem den Riegel zurück, öffnete das Tor einen Spalt und linste verstohlen hindurch. Mein Blick fiel auf Gärten mit Gemüsebeeten und Obstbäumen; alles wirkte so friedlich auf mich, dass ich keine Angst verspürte. Ich lief herum und guckte den Mönchen in ihren braunen Kutten bei der Gartenarbeit zu. Sie nahmen keinerlei Notiz von mir, so als sähen sie mich gar nicht. Ich ließ mich auf einem alten Baumstumpf nieder und schaute in die Runde.
Es handelte sich eindeutig um einen heiligen Ort, einen Ort, wo schon viele, viele Gebete gesprochen worden
waren. Die Mönche wirkten alle so klar, so rein, und zwar nicht nur ihre Körper – vielmehr auch ihre Seelen. Sie beteten bei der Arbeit und ich konnte die Engel mit ihnen beten sehen. Ich fühlte tiefen Frieden in mir und wäre gerne noch geblieben, als meine Engel mich schließlich doch hinausdrängten. Dabei wiederholten sie unablässig, ich solle heimgehen, denn meine Mutter würde sich bestimmt Sorgen machen. Ich tat wie geheißen. Die Dunkelheit brach bereits herein, doch die Engel erleuchteten mir den Weg. Als ich zu Hause ankam, war Mam schon zu ihrer Nachtschicht gegangen, und so bekam ich keinen Ärger.
In der Folgezeit muss ich mich mindestens zwölf Mal, wenn nicht gar öfter, in den Klostergärten aufgehalten haben. Und nur ein einziges Mal, es wurde dann auch mein letzter Besuch dort, richtete ein Mönch das Wort an mich. Er war gerade beim Stachelbeerenpflücken – ich ging auf ihn zu und stellte mich neben ihn. Er leuchtete ganz hell und sein Engel stand neben ihm – in die gleiche Mönchskutte gekleidet. Er blickte hoch, sah mich an und sagte: »Hallo.«
Ich fragte ihn nach seinem Namen. Er hieß Paul. Mit sanfter Stimme erkundigte er sich nach meinem Namen. Ich nannte ihn.
Er bot mir von den Stachelbeeren an und wollte wissen, weshalb ich so oft auf das Klostergelände käme. Ich antwortete: »Um euch beten zu sehen. Ich brauche eure Gebete.«
»Ich werde immer
Weitere Kostenlose Bücher