Engel küssen besser
immer noch diese Glut, eine allmählich verblassende Aura von Wärme und Licht. Er begann, unsichtbare Dinge zu erahnen und eine warme Regung in sich zu spüren. Aber als sie sich mit einem fragenden Lächeln zu ihm umdrehte, kehrte wieder dieser Zweifel in ihn zurück, und er verspottete sich selbst wegen seiner Fantasie.
Sam ließ Glorias Hand los und räusperte sich, um mit einer ironischen Bemerkung für einen Wechsel der Stimmung zu sorgen, aber alles, was er herausbringen konnte, war ein raues “Gloria?”
“Sch.” Jetzt war sie es, die einen Finger auf die Lippen legte. Dann drehte sie sich um und verließ schweigend das Zimmer.
Sam wollte ihr folgen, blieb aber in der Tür stehen, unfähig, auch nur einen Schritt weiterzugehen. Er dachte an Gloria und an die Gelegenheit, sich ein bisschen in sie zu verlieben, kniete dann aber neben Allisons Bett nieder, beobachtete, wie seine Tochter im Schlaf die Schultern hob und senkte, und wollte nur noch an Jenny denken.
“Ich verstehe, Leonard.” Gloria ging im Rosenarten auf und ab, zog hier ein Unkraut heraus und dort eine Distel. “Aber ich habe das wirklich nicht geplant, musst du wissen.”
Noch ein Unkraut wurde mit den Wurzeln ausgerupft und weggeworfen. “Es überrascht mich ja selbst.”
Sie seufzte und hörte auf herumzuwandern. “Mir ist völlig klar, dass ich in Gefahr bin, Leonard. Ich weiß genau, was bei solch einer Verwicklung von Gefühlen passieren kann …”
Gloria kniete sich auf den gepflasterten Weg und fing an, nun etwas systematischer das Unkraut zu rupfen, um sich an diesem vernachlässigten Garten abzureagieren. “Und ich habe im Unterricht
so
aufgepasst. Du brauchst mir jetzt keinen Vortrag zu halten. Ich kannte das Risiko, bevor ich diese Aufgabe übernommen habe.”
Aber sie hatte es eben nicht gekannt. Nicht wirklich. Wie konnte ein Engellehrling eine Ahnung davon haben, wie verführerisch es war, Ehefrau und Mutter zu sein, oder auch nur, wie viel anders sich die Liebe in der Haut des Menschen anfühlte?
Und was soll ich jetzt machen, Leonard?
Dies war ein Hilferuf, eine inständige Bitte um Hilfe, aber sie blieb unbeantwortet, als wenn ihr Schrei in einer endlosen Stille verhallte. Sie setzte sich auf die Fersen und sah sich den Garten an. Es war keine Knospe zu sehen, noch nicht einmal die Andeutung eines Blattes. Es würde sie nicht viel kosten – nur einen Gedanken, eine Berührung vielleicht –, und der Garten würde wieder zu blühendem Leben erwachen. Sie war ein Engel. Was wäre für sie leichter als das?
Aber sich in Sam zu verlieben? Konnte irgendetwas einfacher und zugleich komplizierter sein als das?
Gloria seufzte und schlug sich die Erde von den Händen ab. “Du bist mir vielleicht eine Hilfe”, sagte sie zu Leonard, obwohl sie wusste, dass er bereits gegangen war. “Tauchst gerade lange genug auf, um mir meine Fehler aufzuzeigen, und dann eilst du wieder zur Chorprobe davon, als ob …”
Sie sah über die Schulter zur Terrassentür, hinter der sie Sams Anwesenheit im Arbeitszimmer spürte. In der Luft lag Musik – wie der Duft von Rosen – schwach, aber langsam stärker werdend. Sie klang so lieblich, dass Gloria die Augen schloss, um ihr zu lauschen. Trotzdem bemerkte sie sofort, dass Sam den Garten betrat, und seine Traurigkeit ging ihr zutiefst zu Herzen. Dabei war doch dieses Herz nur eine Leihgabe.
“Was machen Sie hier draußen?”, fragte er.
“Unkraut rupfen.”
“Das ist reine Zeitverschwendung.”
Sie schaute die ausgetrockneten Pflanzen an. “Ich glaube, sie haben eine gute Chance, sich wieder zu erholen.”
“Die Rosenstöcke sind tot, Gloria. Was macht es noch aus, wenn das Unkraut sie überwuchert?”
Sie streckte die Hand aus und hätte ihm gerne gezeigt, was es ausmacht. Sie strich mit den Fingern über die Pflanze, die ihr am nächsten war. Es könnte so einfach sein. Mit einer Berührung könnte sie eine Kettenreaktion auslösen, und das Leben würde in diesen Garten zurückkehren, um den Himmel zu preisen. Die Rosenstöcke würden sich strecken, blühen und ihren göttlichen Plan erfüllen, indem sie einen bunten duftenden Farbteppich ausbreiteten. Auf nur einen Wink von ihr hin würde das Unkraut weichen und Platz für ein Wunder machen.
“Nicht anfassen.”
Erschrocken zog sie ihre Hand zurück und schaute Sam fragend an.
Der zuckte nur mit den Schultern. “Es sind immer noch Dornen dran. Sie könnten sich stechen.”
So wie die Einsamkeit ihr in die Seele
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