Engel sterben
nicht duzen? Das wäre vermutlich praktischer und vielleicht auch ganz angenehm.«
Eine leichte Röte zieht über Svens Gesicht.
»Okay, gern. Ich bin Sven.«
»Bastian.«
Nach einer kurzen Pause wendet er sich der schönen Silja zu.
»Damen gegenüber ist das schwierig, das weiß ich wohl, aber wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich Sie gern in unsere Verabredung einbeziehen.«
»Nein, im Gegenteil. Ich freue mich.«
Graziös schiebt sich die Kommissarin hinter ihrem Schreibtisch hervor, der ungünstig in einer Ecke steht. Zuerst kommt ihr Duft zu Bastian, dann sie selbst. Ihr Händedruck ist knapp, aber fest.
»Silja.«
»Bastian.«
Jetzt sieht er ihr doch in die Augen, zählt insgeheim bis zwei und blickt dann zur Kaffeemaschine hinüber, die gerade ihr Blubbern eingestellt hat.
»Und? Wollen wir loslegen? Wenn ihr mir verratet, wo ihr die Tassen habt, mache ich euch sogar den Kellner.«
Jetzt lacht Sven als Erster. Das Eis ist gebrochen.
»Lass mal. Du kannst meinen Schreibtischstuhl nehmen, mir reicht der Besuchersessel. Milch, Zucker, beides?«
»Danke nein. Schwarz und giftig, so mag ich es gern.«
Der Blick, den Silja ihm zuwirft, ist nicht von schlechten Eltern. Abschätzigkeit, gepaart mit Amüsement. Schlecht verborgene Überheblichkeit vielleicht? Oder doch nur Unsicherheit versteckt hinter einer allzu perfekten Fassade?
Lieber Kumpel Kreuzer, denkt Bastian, reiß dich jetzt bloß zusammen. Du sollst ein verschwundenes Mädchen finden, vielleicht auch ihren Mörder, aber du sollst ganz bestimmt nicht die Seelenlage einer jungen unschuldigen Polizistin ergründen. Dann gönnt sich Bastian einen zweiten Blick in die Augen der Kollegin. Sie zieht für einen Sekundenbruchteil die Brauen hoch. In Siljas stumme Antwort lässt sich so manches hineinlesen. Unschuld ist allerdings nicht dabei.
Freitag, 24. Juli, 11.50 Uhr,
Braderuper Weg, Kampen
Am späten Vormittag ist in den verschlafenen Straßen hinter dem alten Kampener Dorfkern wenig los. Die reetgedeckten Häuser ducken sich in der Hitze, ihre Bewohner halten sich im Inneren auf. Nur zwei Katzen liegen einträchtig nebeneinander in der Sonne auf einem Steinwall, der mit weißen Heckenrosen bepflanzt ist und das Grundstück des Winterberg’schen Hauses zur Straße hin abgrenzt. Das Haus selbst ist gedrungen, ein breiter, nicht sehr hoher Bau, an dessen Fassade sich zu beiden Seiten der Eingangstür jeweils nur ein Fenster befindet. Das rechte gehört zum Wohnraum, das linke zur Küche. Und hinter dem Küchenfenster ist der Rücken einer Frau zu sehen.
Anja Winterberg sitzt vor einer Tasse Kaffee, die längst erkaltet ist. Sie hat in der letzten Nacht sehr unruhig geschlafen und am Morgen wenig gefrühstückt. Trotzdem ist sie mit ihrer Tochter Mette fast zu spät zum Kindergarten gekommen. Dieser Freitag ist der letzte Tag vor der zweiwöchigen Sommerpause. Mette war aufgeregt, weil es im Kindergarten etwas Besonderes geben sollte. Ein Zauberer mit einer Abschiedsvorstellung für alle Kinder, die nach den Ferien die Schule besuchen würden – so wie Mette. Seit Tagen behauptet sie, der Zauberer käme nur ihretwegen.
Als das Telefon Anja aus ihren Gedanken reißt, schreckt sie zusammen. Dabei besteht zu Furcht gar kein Anlass. Mette ist sicher im Kindergarten aufgehoben. Und in einer halben Stunde wird Anja sie persönlich von dort abholen und nach Hause bringen.
Der Anruf entpuppt sich als harmlos. Zunächst. Er kommt aus Hamburg von der Professorenfamilie, die jeden Sommer das Gästehaus der Winterbergs mietet. Auch die Hamburger haben von der Entführung gehört und sind nun in Sorge um ihre Zwillingstöchter, die genau in Mettes Alter sind. Noch haben sie sich nicht entschieden, ob sie den Urlaub antreten oder absagen werden, noch hat Anja eine Chance. Denn Winterbergs sind auf die Einnahmen angewiesen, und die Hamburger zahlen gut. Außerdem wird unter den momentanen Umständen auf die Schnelle kein Ersatz für die Mieter zu finden sein. Anja legt also so viel Überzeugungskraft wie möglich in ihre Stimme.
»Glauben Sie mir, hier herrscht keine Panikstimmung, wie es die Zeitungen schreiben. Vielleicht ist das Mädchen sogar nur weggelaufen. Die Journalisten übertreiben maßlos. Sie füllen wie jedes Jahr ihr Sommerloch mit Katastrophenberichten. Verantwortungslos ist das!«
Am anderen Ende der Leitung ist gedämpftes Murmeln zu hören. Vermutlich wird das Mikrophon zugehalten, damit sich die Eheleute beraten können. Auf
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