Engel sterben
soll …«
»Krakel? Was meinen Sie mit Krakel?«
»Vielleicht ist es ja auch eine Unterschrift, sieht aber eher wie ein schiefer Flugzeugflügel aus.«
»Das ist bestimmt eine Unterschrift. Die Schlüssel sind von dem Watthaus, das wir neu reinbekommen haben.«
»Das mit dem Erker?«
»Genau. Vermutlich hat der Besitzer sie persönlich in unseren Briefkasten geworfen, damit es schneller geht. Kein Grund zur Sorge. Ich habe ihm gestern auf die Mailbox gesprochen und von dem Interessenten aus Hamburg erzählt. Björn Steingart, Sie wissen schon.«
»Ah ja. Der BMW -Fahrer.« Lucie Piehls Stimme ist deutlich anzuhören, dass Steingart auf sie mächtig Eindruck gemacht hat. »Dann werfe ich den Zettel jetzt weg, oder? Die Adresse haben wir ja schon.«
»Ganz genau. Und ich verständige meine Putzfrau. In der Villa muss nämlich noch einiges gemacht werden, bevor wir sie präsentieren können. Aber das passt gut, denn eigentlich wäre Lidia heute Nachmittag bei mir in der Wohnung. Ich versuche, sie vorher zu erreichen, und schicke sie bei euch vorbei. Sie soll sich die Schlüssel und die Adresse abholen und dann anschließend zur Villa fahren. Dann ist das bis heute Abend vielleicht schon erledigt.«
»Okay. Kein Problem. Einer von uns ist ja immer hier.«
»Das will ich doch hoffen. Am Nachmittag habe ich einen Termin beim Zahnarzt in List, zum Glück nur die halbjährliche Routineuntersuchung. Aber vorher komme ich auf jeden Fall noch einmal im Büro vorbei.«
»Gut, dann weiß ich Bescheid. Bis nachher.«
»Ja, bis später.«
Mona legt das Handy zur Seite, geht ins Bad und kämmt die Haare durch. Jetzt die erste Tasse Tee und ein Blick in die Zeitung. Mona setzt sich an den schmalen Esstisch, den sie im letzten Herbst bei einem Antiquar am Lister Hafen gekauft hat. Die Platte besteht aus poliertem Holz mit Elfenbeinintarsien, die einen Früchtekorb zeigen. Ein schönes Motiv fürs Frühstück, findet Mona.
Der Tee hat ein wenig zu lang gezogen und ist jetzt leicht bitter, ein Geschmack, der aber ganz gut zu der englischen Orangenmarmelade passen wird. Während Mona ihren Toast bestreicht, denkt sie über Markus Rother nach.
Er ist vielleicht doch geschäftstüchtiger und pragmatischer, als sie angenommen hat. Dass er die Schlüssel für die Villa so prompt geliefert hat, ist jedenfalls sehr hilfreich. Weniger hilfreich ist die Tatsache, dass es immer noch keine vernünftigen Grundrisse gibt. Aber das größte Problem bei der Vermittlung der Immobilie dürfte der Umstand sein, dass Markus Rother keine näheren Angaben zu den Gründen gemacht hat, wegen der seine Familie das Haus am Watt vor dreißig Jahren so überstürzt verlassen hat.
Jeder Käufer erwirbt nämlich mit dem Objekt auch dessen Geschichte. Vielleicht ist das ein Vorgang, der unbewusst abläuft, aber er wird darum nicht unwichtiger. Im Gegenteil. Der Gedanke an eine negative Atmosphäre, mit der eine Immobilie belastet sein könnte, hat schon so manchen von einer Kaufentscheidung abgehalten. Günstig dagegen ist immer der Hinweis auf wechselnde Lebensorte. Wenn sich die räumlichen Bedürfnisse von Menschen verändern und sie darum eine Immobilie veräußern wollen oder müssen, dann beschädigt das weder das Haus noch den Ort, an dem es steht. Schlechter machen sich Scheidungs- oder Todesfälle. Erbschaften wiederum gehen ganz gut als Erklärung. Auch vermögende Menschen brauchen schließlich Kapital, um die anfallenden Steuern zu bezahlen.
Mona beschließt, die Erbschaftskarte zu spielen. Gelogen ist dabei nichts, das Haus hat zwar lange leer gestanden, aber der Erbfall ist schließlich erst vor kurzem eingetreten. Und Markus Rother wird diese Darstellung jederzeit bestätigen. Welches Interesse sollte er auch daran haben, dass nach den wahren Motiven für den Leerstand geforscht wird? Rothers merkwürdiges Verhalten in dem gedoppelten Mädchenzimmer und die Tatsache, dass er sich offenbar bei einem weiteren Besuch des Hauses hat übergeben müssen, lassen schließlich vermuten, dass es sich um heikle Erinnerungen handelt, die ihn mit der Villa verbinden und die sicher nicht ans Licht der Öffentlichkeit gehören.
Nachdenklich beißt Mona in ihren Toast. Süßbitter füllt die Orangenmarmelade ihren Mund. Dazu noch ein Schluck Tee. Perfekt.
Gerade will sich Mona in die Zeitung vertiefen, als die Schlagzeile ihren Blick fängt.
» MORD IN DER HITZE ?«, steht in fetten Lettern quer über der ersten Seite.
Schnell überfliegt Mona
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