Engel sterben
ihrer Ängste erweisen.
Schluss jetzt! Anja steht auf und greift nach ihrem Autoschlüssel. Sie wird sofort zum Kindergarten aufbrechen, zur Not muss sie dort ein wenig vor der Tür warten, die stets so lange abgeschlossen ist, bis die Erzieherinnen die Kinder verabschiedet haben. Anja wird ganz nah neben der Tür stehen, und Mette wird direkt in ihre Arme laufen. Und dann wird die Mutter ihr Kind festhalten und es erst wieder loslassen, wenn dieser teuflische Kindesentführer gefasst worden ist.
Freitag, 24. Juli, 12.29 Uhr,
Kindergarten Wenningstedt
Mette hält die grünkarierte Hose des Zauberers mit beiden Händen fest. Das ist auch nötig, denn die anderen Kinder wollen auch so nah wie möglich neben ihm stehen. Aber Mette war als Erste da, sie lässt sich nicht vertreiben. Jetzt bückt sich der Zauberer sogar und lächelt zu ihr hinunter.
»Nicht ganz so feste, junges Fräulein, sonst reißt meine Hose kaputt.«
»Die kannst du doch dann wieder heil zaubern.«
Mette will unbedingt auf dem Gruppenfoto ganz dicht neben ihm stehen, aber Inken, die Erzieherin, ist mal wieder furchtbar langsam mit der Digitalkamera. Noch immer versucht der Zauberer, ein bisschen Abstand zwischen Mette und sich zu bringen.
»Wenn ich hier nicht bleiben soll, dann musst du mich eben wegzaubern. So wie die Hasen vorhin auch. Oder kannst du das etwa nicht?«
Mette lacht übermütig. Natürlich kann der Zauberer das. Und er weiß auch genau, dass sie es weiß. Deshalb fällt er jetzt in ihr Lachen ein.
»Damit würden deine Eltern aber gar nicht einverstanden sein.«
»Natürlich nicht. Mein Vater würde mich sofort suchen. Er ist nämlich Polizist. Aber ich glaube nicht, dass er in deinem Hut nachgucken würde. Jedenfalls nicht gleich.«
»Alle mal hersehen«, ruft Inken jetzt. Und dann kommt auch schon der Blitz. Er blendet Mette, und sie kneift die Augen zusammen. Offenbar ist sie nicht die Einzige, denn Inken ruft gleich nach dem Blitz: »Halt, Kinder, wartet noch einen Moment. Wir machen ein zweites Foto.«
Der Zauberer lacht gutmütig und geht dann in die Knie. Jetzt ist sein Kopf auf der Höhe von Mettes Kopf. Auf seiner anderen Seite steht Lise. Ihre Haare sind nicht ganz so blond wie Mettes, aber dafür viel länger. Jetzt greift der Zauberer nach einem von Lises Zöpfen und dreht ihn fest um seine Hand.
»Hab ich dich«, sagt er lachend zu Lise, die erschrocken guckt.
»Der macht doch nur Spaß«, ruft Mette der Freundin zu und fühlt sich dabei sehr erwachsen. Nein, sie hat keine Angst vor dem Zauberer. Sie hat vor überhaupt niemandem Angst, ihr Vater ist schließlich bei der Polizei, und das wissen auch alle. Und wer es noch nicht weiß, der bekommt es ganz schnell von Mette gesagt, so wie gerade eben der Zauberer.
»Achtung, fertig …«, ruft Inken.
Der Zauberer setzt sich ein bisschen aufrechter hin und wendet gleichzeitig seinen Kopf aus der Kamerarichtung. Er guckt Mette an und legt ihr dabei den Arm um die Schultern. Mette findet das toll, aber trotzdem ruft sie kokett: »Aua, du kitzelst mich.«
»Besser kitzeln als wegzaubern, oder?«, antwortet der Zauberer.
Dann kommt der Blitz, und diesmal hat Mette ihre Augen weit geöffnet.
»So, jetzt sind wir fertig. Kinder, bedankt euch noch mal bei unserem tollen Gast, und dann müsst ihr ihn aber auch loslassen. Ich glaube, er hat noch einen anderen Termin.«
Der Zauberer nickt bestätigend.
»Auch in einem Kindergarten?«, will Mette wissen, aber da hat der Zauberer schon ihre Hände von seiner Hose gelöst. Dann lässt er sie so plötzlich los, dass sie umfällt. Als sie wieder aufgestanden ist, zwinkert er ihr lachend zu.
»Immer schön das Gleichgewicht halten, kleines Fräulein.«
Anschließend geht er hinüber zu Inken und zu Beate, der zweiten Erzieherin, um sich von ihnen zu verabschieden. Danach winkt er allen Kindern noch einmal mit beiden Händen zu, zieht zum Abschied seinen hohen schwarzen Hut vom Kopf und macht eine tiefe Verbeugung.
»Ihr wart ein tolles Publikum«, ruft er, dreht sich um und ist auch schon aus dem Raum verschwunden.
Während Mette immer noch auf die Tür starrt, klatscht Inken in die Hände.
»So, jetzt machen wir noch unseren Stuhlkreis. Alle Kinder setzen sich, eine Reihe auf die Stühle, die zweite unten auf den Boden, dann singen wir unser Lied, und dann gehen alle in die Ferien. Die großen Kinder und die kleinen Kinder auch.«
Während des Singens denkt Mette immer noch an den Zauberer. Ob er die
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