Engel sterben
aus.
Playboy
-Hefte scheinen aus schimmelresistentem Material hergestellt zu werden. Die Jungs vom Verlag werden schon wissen, warum. Trotzdem hält sich Fred weniger lang, als die Hefte es vielleicht verdient hätten, mit dieser Kiste auf. Es ist nicht so sehr sein Wille, endlich die gesuchte Sylt-Karte zu finden, sondern eher die Vorstellung, dass alle abgebildeten Damen inzwischen auch an die dreißig Jahre älter geworden sein dürften, die ihm den Spaß verdirbt.
Also die dritte Kiste. Sie enthält Fotos und Reportagen, genauer gesagt Fotos mit Fred und Reportagen von Fred. Die Texte sind sowohl im Typoskript als auch in den Magazinen erhalten, in denen die Reportagen abgedruckt worden sind. Auf allen Papieren befinden sich jede Menge Schimmelpilze. Widerlich.
So ist es also um die Dokumente aus den großen Zeiten seiner Karriere bestellt. Alles vergangen, nichts als Kompost auf dem Abfallhaufen der Geschichte. Fred wendet sich ab. Ein kleiner Ermutigungsschluck ist jetzt durchaus angebracht.
Während er trinkt, wird Fred nachdenklich. Was wollte er eigentlich mit einer Straßenkarte von Sylt anfangen, die höchstens noch antiquarischen Wert haben dürfte? Noch nicht einmal der Küstenverlauf ist auf der Insel heute noch so wie vor dreißig Jahren. Worüber sollte der Plan jetzt noch Auskunft geben können? Leider scheint sich die Antwort auf diese Frage in einem der Bereiche seines Hirns aufzuhalten, die aus gegebenem Anlass hochprozentig überflutet sind.
In jedem Fall ist der Anblick der foto- und drucktechnischen Zeugnisse seines ehemaligen Ruhms nicht gerade dazu angetan, Fred aufzuheitern. Er sollte den Plunder schnellstens wieder einräumen, es sei denn, ihm wäre an einer gemütlichen kleinen Depressionsrunde gelegen. Missmutig und unaufmerksam wirft Fred Artikel und Fotos zurück in die Kiste. Es sind etliche
Spiegel
-Exemplare dabei, die er wohlweislich gar nicht erst aufschlägt. Seinen eigenen Namen auf diesen hehren Seiten zu lesen würde ihm jetzt definitiv den Rest geben.
Als der Sylt-Plan ihm ausgerechnet aus einer dieser Zeitschriften entgegensegelt, wundert sich Fred noch nicht einmal. Ist es so nicht immer im Leben? Man bekommt nur das, was man gar nicht mehr haben will. Oder vorgibt, nicht mehr haben zu wollen. Fred würdigt den dämlichen Plan keines Blickes. Dafür läuft in der Glotze gerade der Trailer des vorletzten James-Bond-Films. Und war hinten im Kühlschrank nicht noch ein einsames Bierchen versteckt?
Was wollte er überhaupt mit diesem alten Inselplan anfangen? Doch wohl nicht der Polizei helfen. So weit kommt’s noch. Er, Fred Hübner, wird den Teufel tun, sich mit denen einzulassen. Sollen sie doch sehen, wo sie mit ihren schwerfälligen Ermittlungsmethoden bleiben. Kleine Mädchen retten, oder was? Das ist nichts für ihn, den großen Fred, den heimlichen Kollegen von Daniel Craig alias James Bond, der leider nicht weiß, dass sein Bruder im Geiste hier auf dieser gottverlassenen Nordseeinsel sitzt und darauf wartet, endlich zum finalen Einsatz gerufen zu werden.
Fred steckt den Kopf in den Kühlschrank und zieht das Not-Bier aus der Ecke. Dann entfernt er den Kronkorken durch ein geschicktes Hebeln an der Kühlschranktür und nimmt einen langen Zug. Auf der Mattscheibe beginnt eine ausgedehnte Verfolgungsjagd.
Samstag, 25. Juli, 20.25 Uhr,
Wattvilla, Kampen
Mona hat Durst. Ganz langsam ist das Bedürfnis nach etwas Feuchtem zwischen den Lippen in ihr aufgestiegen, hat sich emporgearbeitet zwischen Ängsten und Panikattacken, bis es die Oberhand gewinnen und alle anderen Gefühle besiegen konnte. Durst, der stärker ist als die Beklemmung, stärker als die Selbstvorwürfe, stärker sogar als die Grundangst überhaupt, die Angst davor, dass der Mann, der Mona Hofacker in diesem Keller eingeschlossen hat, wiederkommen könnte, um dafür zu sorgen, dass sie das, was sie jetzt gesehen hat, nicht wird weitersagen können, dass sie dieses Geheimnis mit ins Grab nehmen wird.
Denn das ist es doch, was Steingart wollen wird. Er wird sie mundtot machen wollen, sie mundtot machen müssen, um seine Entdeckung zu verhindern. Er wird sie umbringen.
Aber davor steht der Durst. Ein drängendes, unbedingtes Bedürfnis. Mona muss trinken. Sofort, sonst wird sie verdorren, bei lebendigem Leib austrocknen, welch grauenhafte Vorstellung.
Mona rappelt sich vom Boden auf und beginnt, den Raum zu erkunden. Zuerst dreht sie einen Kreis an den Betten entlang. Gelbgewürfelte Bettwäsche
Weitere Kostenlose Bücher