Engel sterben
verhöhnt sie mit ihrem penetranten Geruch nach Weichspüler. Porzellanpuppenaugen bohren hochnäsige Blicke in die Kellerluft. Brüchiges Lackleder steht paarweise am Fußboden bereit. Der Wahnsinn lauert im Detail. Vielleicht muss Björn Steingart Mona gar nicht umbringen. Warum sollte er überhaupt wiederkommen und auch nur das geringste Risiko auf sich nehmen? Sie wird auch ohne ihn sterben, ein ausgetrockneter Körper neben frisch bezogenen Betten. Ihr eigener Verwesungsgestank wird sich mit dem Geruch des Weichspülers zu einem süßlich-frühlingshaften Pesthauch vereinigen.
Die Panik rollt an, reißt Mona die Füße weg, umspült ihren Verstand, steigt ihr über den Kopf und wirft sie um. Jede Welle ein kleiner Tod. Aber der Durst ist stärker. Noch. Er treibt Mona in die Ecken des Raumes. Er zwingt ihren Körper flach auf den Boden und den Kopf mit den suchenden Augen unter die ausgeleierten Sprungfedern der Pritschen. Ein Königreich für ein Trinkpäckchen. Die Hoffnungen und Erwartungen eines ganzen Lebens für eine Wasserflasche.
Aber der Raum scheint leer. Leer und sauber, wie frisch geputzt. Es dauert lange, bis Mona die Tasche findet. Dabei war sie gar nicht besonders sorgfältig versteckt. Eine alte Ledertasche mit abgegriffenen Tragegurten und einem angerosteten Reißverschluss, der sich nur ruckend öffnen lässt. Die Tasche stand die ganze Zeit hinter dem Bett mit dem Männerpyjama, nur notdürftig von der überlappenden Decke verborgen. Einer benutzten Bettdecke, die wie zufällig auf die Pritsche geworfen wirkte, einer Bettdecke, vor der sich Mona in einem Maße ekelte, die jede Berührung verbot.
Jetzt zieht Mona mit zitternden Fingern die Tasche hervor, zerrt an dem klemmenden Reißverschluss und entblößt einen allzu harmlosen Inhalt. Drei Zeitschriften, Kekse, Schokolade, Kartoffelchips und einige Dosen Coca-Cola und Sprite.
Ein einziges Knacken und Zischen, dann ist der erste Verschluss geöffnet, kühl und süß füllt die himmlische Flüssigkeit Monas Mund. Ein Vorgeschmack des Paradieses, ein idealer Dämpfer für jede Panik, eine koffeinhaltige Stimulation für Monas Gehirn. Noch ein paar Schlucke, und sie wird ihre Lage meistern können. Nur noch in Ruhe die Dose leeren, und dann wird sie den rettenden Gedanken haben. Die eine zündende Idee, um sich selbst mit eigenen Kräften aus dieser mehr als lächerlichen Situation zu befreien. Aber das ist später, zunächst gibt es nur den Genuss. Mona legt den Kopf in den Nacken, schließt die Augen und lässt die kühle, klebrige Cola ihre Kehle hinunterlaufen.
Samstag, 25. Juli, 20.40 Uhr,
Kriminalpolizei Westerland
Vor dem Polizeirevier herrscht ein Treiben wie auf dem Westerländer Bahnhof am Samstagmittag. Nur dass dort weniger Journalisten unterwegs sind. Gerade liefern sich zwei Männer, die mit ihrer betont unauffälligen Kleidung sehr nach Zivilfahndern aussehen, ein lautstarkes Wortgefecht mit einem Reporter vom NDR . Dessen Übertragungswagen verstellt eine Einfahrt, an der etliche Beamte mit Schäferhunden aus einem Mannschaftswagen steigen wollen. Die Tiere wirken nervös und bedrohlich. Mehrere vorwiegend ältere Leute stehen auf dem Bürgersteig und verfolgen die Kommandos der Hundeführer und das Schimpfen von Polizisten und Journalisten, als handle es sich um eine angesagte Reality-Show. Aufmerksam beobachten sie das Eintreffen jedes Streifenwagens, als erwarteten sie für die nächsten Minuten die Ankunft eines gefesselten Entführers.
Der Beamte, den Anja anspricht, hört ihr zunächst gar nicht zu. Er steht direkt vor dem Haupteingang und ist eindeutig damit beauftragt, unerwünschte Besucher abzuwimmeln. Während er immer wieder neugierige Passanten durch Handzeichen zum Weitergehen auffordert, hält er sein Handy ans Ohr, murmelt »Okay, Chef« und nickt rhythmisch im Takt zu den Worten seines unsichtbaren Gesprächspartners. Anja weiß, dass es sich bei dem Mann um einen von Svens Kollegen handelt, doch in der Aufregung fällt ihr sein Name nicht ein.
Sie wartet, bis er das Handy zuklappt.
»Anja Winterberg, hallo. Ich bin Svens Frau, und ich wollte …«
»Hallo. Ich glaube nicht, dass Sie Ihren Mann heute Abend noch zu Gesicht bekommen werden. Wir machen bestimmt die Nacht durch. Gehen Sie also lieber nach Hause.«
»Nein, es geht nicht um Sven.« Anja hält Mettes kleine Hand ganz fest umklammert. »Es geht um meine Tochter, unsere Tochter, sie hat etwas beobachtet, was vielleicht helfen könnte.«
Der
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