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Engel sterben

Engel sterben

Titel: Engel sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ehley
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Musik hinein, Mona hämmert gegen die Tür und schreit und schreit.
    Dann ist es still.
    Jemand hat die Musik abgestellt. Mona erschrickt. Steingart. Wird er jetzt kommen und sie umbringen? Kein Ton verlässt ihre Kehle, als könne sie sich allein durch ihr Schweigen zum Verschwinden bringen. Monas Herz rast. Jetzt, gleich wird er kommen.
    Aber es kommt niemand.
    Kein Ton von oben und kein Mensch.
    Mona reißt eine der Schokoladentafeln auf, stopft sich die braune Masse gierig in den Mund, kaut und schluckt, kaut und schluckt. Schließlich legt sie sich wieder zwischen die Bettwäsche der am weitesten hinten stehenden Pritsche. Ewig liegt sie dort, zitternd und schwitzend und frierend zugleich. Und als sie endlich einnickt, zu Tode erschöpft, empfängt sie ein unruhiger Schlaf, der wenig Erholung bringen wird.

Samstag, 25. Juli, 21.31 Uhr,
Kriminalpolizei Westerland
    Als Mette den Raum betritt, in dem ihre Mutter gewartet hat, stehen Tränen in ihren Augen. Anja springt auf.
    »Was haben Sie mit meiner Tochter gemacht?«
    »Beruhigen Sie sich. Es ist alles in Ordnung. Jedenfalls alles, was Mette angeht. Leider konnte sie uns nicht weiterhelfen. Ich habe ihr am Rechner die Phantombilder gezeigt, die wir nach den Täterbeschreibungen von anderen Tatortzeugen haben anfertigen lassen, aber sie hat niemanden wiedererkannt.«
    Immer noch weinend klammert sich Mette an ihre Mutter.
    »Ich kann nichts dafür, aber die Männer haben alle so böse ausgesehen. Und der Mann, den ich mit Lise in dem Auto gesehen habe, sah eigentlich ganz nett aus.«
    »Ist ja gut, mein Kleines. Niemand schimpft mit dir. – Warum werden die Bilder nicht im Fernsehen gezeigt? Vielleicht würde jemand anderes den Mann erkennen?«, will Anja von Bastian Kreuzer wissen.
    »Es sind neun Zeichnungen, und sie sind so unterschiedlich, dass die halbe männliche Bevölkerung darin von ihren Nachbarn wiedererkannt werden könnte. Wir müssen den Kreis der Verdächtigen einengen, bevor wir damit an die Öffentlichkeit gehen.«
    »Und jetzt?«
    »Ich werde einen Ortstermin ansetzen. Passt Ihnen morgen früh? Sagen wir um acht, da ist es noch leer.«
    Anja nickt.
    »Dann sehen wir uns am großen Parkplatz in Kampen.«
    »Gegenüber vom Kurhaus?«
    »Genau. Ich versuche gleich noch, die Tante von Lise zu erreichen. Und dann stellen wir morgen den Ablauf des heutigen Nachmittags nach. Irgendetwas fällt einem dabei immer auf.«
    »Hoffentlich«, entgegnet Anja und nimmt ihre Tochter noch fester in den Arm. Überzeugt klingt sie nicht.

Sonntag, 26. Juli, 8.02 Uhr,
Strönwai, Kampen
    Das Zentrum Kampens liegt wie ausgestorben in der Morgensonne. Viele der Boutiquen und Juweliere öffnen zwar auch am Wochenende, aber erst gegen zehn Uhr oder sogar nur am Nachmittag. Das, was hier verkauft wird, erwirbt man in der Regel nicht vor dem Frühstück. Entsprechend leer ist auch der Parkplatz an der Hauptstraße, auf den Bastian Kreuzer seinen Dienstwagen lenkt. Anja und Mette Winterberg warten schon am Straßenrand.
    Kaum hat Bastian Kreuzer die beiden begrüßt, trifft auch Barbara Strieter auf dem Parkplatz ein. Lises Tante stellt ihren Wagen quer in die Parkbucht, ohne sich um die weißen Markierungen auf dem Asphalt zu kümmern, und als sie aussteigt, sieht sie übernächtigt und sehr blass aus. Ihre Hand zittert bei der Begrüßung, ihr Gesicht ist vom vielen Weinen fleckig und geschwollen. Kreuzer stellt die Frauen einander vor und gibt gleich seine Anweisungen für die Rekonstruktion des vergangenen Nachmittags.
    »Mette, du versteckst dich am besten wieder in der Wildrosenhecke. Da vorn ist ein Kiesweg, da kannst du ein paar Steinchen zum Werfen sammeln.«
    »Das habe ich gestern auch so gemacht. Woher weißt du das?«
    Kreuzer grinst. »Ich hab dir doch erzählt, dass ich mit dem Steinewerfen so meine Erfahrungen habe.«
    Anja Winterberg schüttelt missbilligend den Kopf, doch Kreuzer kann ihr ansehen, dass sie froh über das Zutrauen ist, das ihre Tochter ihm entgegenbringt.
    »Wenn Sie vielleicht hier auf dem Parkplatz warten könnten, bis wir oben so weit sind?«
    Anja nickt zögernd.
    »Was ist?«
    »Ich habe Mette seit gestern nicht mehr aus den Augen gelassen. Ich habe solche Angst, dass sie auch noch verschwindet.«
    »Keine Sorge. Niemand wird sich Ihrer Tochter nähern. Und falls doch, bekommt er es mit mir zu tun.«
    »Okay.«
    Wenn Kreuzer sich nicht ganz täuscht, werden die Augen der Winterberg feucht. Auch Kollegenfrauen haben eine Seele.

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