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Engel sterben

Engel sterben

Titel: Engel sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ehley
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Sowohl geographisch als auch verkehrstechnisch. Alle Einheimischen und die meisten Touristen würden das auf Nachfrage auch so angeben. Inselmitte? Westerland. Es sind nur bestimmte Menschen, die anders fühlen. Die Upper Class. Westerland ist vielleicht der Magen der Insel, aber in Kampen schlägt ihr Herz. Schöne Formulierung, denkt Fred, auch das menschliche Herz liegt schließlich nördlich des Magens.
    Was heißt das für den Entführer? Nach den Extremitäten sucht er das Herz auf. Wer will danach schon noch zurück an die Außenfront? Hat er also die Kleidung und die Mädchen in Kampen versteckt? Fred markiert mit einem dritten Kringel den Strönwai, auf dem das letzte Opfer entführt worden ist, dann steht er auf, um die Karte aus der Entfernung zu betrachten.
    Der Kugelschreiber in seiner Hand ist blau. Es ist ein billiges Supermarkt-Modell und hat beim Markieren hässliche Schlieren auf dem Plan hinterlassen. Die schwarzen Kringel, die sich ebenfalls auf der Karte befinden und die Fred erst jetzt bewusst wahrnimmt, sind vermutlich mit einem erheblich teureren Stift gemacht worden. Einem von der Sorte, die Fred früher benutzt hat. Die Farbe ist auch nach den vielen Jahren weder verblasst noch verschmiert. Die Kringel sind kleiner als Freds heutige und weniger unförmig, sie scheinen auf eine verblüffende Weise präziser gesetzt zu sein.
    Fred beugt sich dicht über die Karte und mustert sie gründlich, dann zählt er diese kleinen unheimlichen schwarzen Kreise. Elf. Vor etlichen Jahren hat es elf Orte auf dieser Insel gegeben, die er selbst der Markierung für wert befunden hat. Sie alle liegen an den damaligen Hauptstraßen mit einer eindeutigen Häufung um Kampen herum. Und einer der drei blauen neuen Kringel befindet sich in unmittelbarer Umgebung eines der alten schwarzen Kreise, nämlich an der Ampelkreuzung zwischen Strönwai und der großen Straße, die längs durch die Insel führt. Hier ist das dritte Mädchen verschwunden.
    Zweifellos eine faszinierende Entdeckung. Doch tragischerweise hat Fred Hübner nicht den geringsten Schimmer einer Ahnung, was sich damals an diesen schwarz markierten Orten abgespielt haben könnte.

Sonntag, 26. Juli, 10.59 Uhr,
Wattvilla, Kampen
    Die Sonne scheint, wie schön, denkt Mona und blinzelt ins Licht. Doch die Schrägen ihrer Dachwohnung sind verschwunden, und auch die Reihe der quadratischen Fenster ist nicht zu sehen. Nur die Neonröhren an der Decke leuchten leise summend einen kargen Kellerraum aus. Schnell schließt Mona die Augen wieder. Nur für Sekunden noch möchte sie die Täuschung erhalten und die Zeit zurückdrehen. Könnte es nicht wieder Samstag früh sein, ein unbeschwerter Morgen im Sylter Sommer voller Vorfreude auf ein Date mit einem gutaussehenden Mann am Abend. Doch Björn Steingart ist nicht irgendein gutaussehender Mann. Und er ist auch nicht harmlos und sucht nur nach einem Ferienhaus am Watt. Mona kann spüren, wie sich die Schlinge der Erinnerungen zuzieht.
    Der gestrige Nachmittag. Ihr Gang in diesen Keller hinunter. Dann die Schritte auf der Treppe. Die hochgewachsene Gestalt im Schatten. Das Zuschlagen der Metalltür. Das Schnappen des Schlosses. Die Stille. Und schließlich das Hämmern der Musik. Ihr Albtraum. Der Mann mit der Zange. Wenn es nicht Steingart gewesen ist, der ihr heimlich gefolgt ist, dann bleibt nur Rother, der Eigentümer. Sonst kennt ja niemand das Innere der Villa. War es also Markus Rother, der diesen gruseligen Kellerraum eingerichtet hat? So viel Mühe für drei Käthe-Kruse-Puppen? Oder sollten hier die entführten Mädchen schlafen? Nein, das widerspricht jeder Logik. Rother hätte mit dem leerstehenden Haus doch das perfekte Versteck gehabt, warum hätte er es ihr dann zur Vermittlung anbieten sollen? Das ergibt keinen Sinn.
    Mona dreht sich auf den Rücken und starrt an die Decke. Sie versucht, die Uhrzeit zu schätzen, ist aber vollständig unfähig dazu. Es könnten seit ihrem Aufschrecken aus dem nächtlichen Traum drei Stunden vergangen sein oder auch zehn. Ein Blick auf die Armbanduhr gibt ihr Klarheit. Elf Uhr am Vormittag. Es ist Sonntag, und Mona hat ausnahmsweise keine Besichtigungstermine. Niemand wird sie also vermissen. Es sei denn, der Mann aus dem Schatten ist doch nicht Steingart gewesen. Dann könnte er Alarm schlagen, weil sie gestern Abend nicht zu dem verabredeten Date erschienen ist. Doch Steingart ist nicht der Typ, der sich öffentlich darüber beschwert, dass er versetzt worden

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