Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
seinen Grund, warum Bergmann selbst keine Befugnis bekam, sich um den vermissten Schäfer zu kümmern. Auch Kamps inoffizielle Befugnis war ihrer Befangenheit geschuldet, ihrem Drang, nicht untätig zu bleiben, ihrer Sorge, dass die beauftragten Fahnder zu lasch ermittelten, sich nicht mit dem Eifer einbrächten, den sie selbst an den Tag legen würden, weil sie eben persönlich betroffen waren – hier biss sich die Katze in den Schwanz.
Nichtsdestotrotz nahm Bergmann sich vor, in den kommenden Tagen eine sachliche Analyse von Schäfers Tun und Benehmen in den Monaten vor seinem Verschwinden zu erstellen; ihn so gut es ginge auf eine Ebene mit den anderen Fällen zu bringen, die auf seinem Schreibtisch seiner harrten. Deshalb sollte er jetzt auch unbedingt schlafen gehen.
12.
Dass er an seinem zweiten Tag als Gruppenleiter verschlafen hatte – zum ersten Mal seit fast zehn Jahren –, das war wohl ein Wink vom Universum, dass seine neue Position ihn nicht wichtiger machte, als er zuvor gewesen war. Auf was für seltsame Gedanken man kommt, wenn einmal etwas nicht den gewohnten Gang geht, sagte er sich, als er in die Straßenbahn sprang. Viel plausibler: Wir haben einen Nachteinsatz gehabt, dann habe ich bis halb drei mit Isabelle telefoniert, und danach bin ich noch im Bett die ganze Aufgabenverteilung durchgegangen. Sogar die Sätze habe ich mir zurechtgelegt, die ich zu ihnen sage, sinnloses Kopfkarussell, das einen den Schlaf kostet, ich werde mir einen Wecker zulegen müssen.
Aus seinem Postfach ragte ein dickes braunes Kuvert, das er vorsichtig herauszog – eine reine Instinkthandlung, da auffällige Post ohnehin durch den Sicherheitscheck lief. Er sah auf den Absender und seufzte. Der Richter. Bergmann wollte sich gar nicht vorstellen, welch unglaublich brisante Informationen die zwei Kilo Papier fassten, die ihm da „persönlich“ und „streng vertraulich“ zugestellt worden waren. Auf dem Weg zu seinem Büro schaute er bei Kovacs und Schreyer hinein. Legte der Inspektorin das Kuvert auf den Schreibtisch, schöne Grüße aus der Anstalt, sah Schreyer dreißig Sekunden zu, wie dieser hochkonzentriert Münzen über die Tischplatte schob, und fuhr ihn dann an, mit ihm zu kommen.
„Wie stellst du dir das eigentlich vor?“, Bergmann hängte sein Jackett über einen Bügel, setzte sich und sah Schreyer an, der nicht den Eindruck machte, als wüsste er, wovon sein neuer Chef sprach.
„Du arbeitest hier, oder?“
„Ja, schon …“
„Und was genau zurzeit?“
„Ich … also ich helfe Sandra, wenn sie was braucht und …“
„Schreyer“, Bergmann stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch und verschränkte die Hände, „du läufst seit drei Wochen auf Stand-by … ich kenne ja deine besondere Beziehung zu Major Schäfer … und dass du während seiner Anwesenheit gute Arbeit geleistet hast … aber im Moment schaut es so aus, als wärst du komplett abwesend …“
„Das ist … also ich bemühe mich schon …“
„Wo?“
„Ihn zu finden …“
„Schäfer? Indem du seine Spinnereien nachmachst und Münzen hin und her schiebst?“
„Ich hab gedacht …“
Bergmann zog die oberste Schublade seines Schreibtisches auf und nahm einen Schlüsselbund heraus.
„Du fährst zu seiner Wohnung und drehst jeden Löffel um … schaust dir jedes Buch an, die Balkonpflanzen, sein Kellerabteil … morgen früh will ich eine fertige Inventarliste haben und dazu eine Aufstellung von allem, was dir irgendwie merkwürdig erscheint oder eine Spur ergeben könnte … klar?“
„Ich soll in seine Wohnung?“, Schreyer nahm zaudernd die Schlüssel in die Hand.
„Ja, jetzt.“
Er hätte Schreyer für andere Aufgaben besser gebrauchen können, keine Frage; aber als er ihn da an seinem Schreibtisch gesehen hatte, die langsam über den Tisch wandernden Münzen … das hatte Bergmann schon bei seinem Chef oft genug aufgeregt, diese mystische Schieberei … aber Schäfer war Schäfer und Schreyer ein Lakai mit begrenztem Leistungsspektrum, der sich nicht anzumaßen brauchte, irgendetwas mit dem Major gemein zu haben. Hinfort mit ihm! Zumindest für den anstehenden Tag. Bergmann fuhr den Computer hoch, las seine Nachrichten und verfasste ein Mail an drei Gruppenleiter aus den Ermittlungsbereichen Sittlichkeitsdelikte, Wirtschaftskriminalität und Menschenhandel sowie eins an einen Bekannten bei der Gewerbeaufsicht für Gastronomie. Betreff: Müller. Darauf zu warten, dass dieser von sich aus mit dem
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