Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
Fahndungsarbeit vorwärtsbringen oder lähmen würde. Eine Ohnmachtserklärung, auch das wäre dieser Schritt; aber die hatte er ja schon erhalten, als ihm Lisa vom Privatdetektiv erzählt hatte, den Schäfers Familie eingeschalten hatte. Gut fünfzehn Minuten saß Bergmann nun schon auf einer Bank am Bahnsteig und sah den Zügen der U4 beim Ein- und Abfahren zu. Wissen, Erfahrung, Ausdauer … das hatte er ohne Zweifel. Aber dieses Gespür, diese unlogische Logik, diesen kryptischen Kompass … Brieftauben hatten angeblich Partikel von Eisenoxid am Schnabel, mithilfe derer sie den Heimweg fanden … und Schäfer? Kryptonit? What would Schäfer do?, fiel Bergmann Kovacs’ frecher Kommentar ein. Sich ansaufen vermutlich. Im Wald verirren und einen Hund erschießen, murmelte er und stieg in die U-Bahn.
21.
„Was ist los, alter Streber … Freitag ist … gehst du mit uns noch einen heben?“, Leitner stand in der Tür und boxte sich in die linke Hand. Offensichtlich hatte er die interne Untersuchung gut überstanden.
„Wer ist wir?“
„Bruckner, Lechner … soll ich die Kovacs und den Schreyer auch fragen?“
„Wenn du … nein, lassen wir den Nachwuchs früh ins Bett … gib mir noch zehn Minuten.“
„Sicher … ich bin drüben“, erwiderte Leitner, doch leicht überrascht, dass Bergmann so wenig Widerstand geleistet hatte.
Bei einer anderen Kollegenauswahl hätte Bergmann auch bestimmt länger überlegt oder eher gleich abgesagt. Doch Bruckner und Lechner: Familienmenschen mit funktionierender Selbstkontrolle, ein Abend mit denen roch nicht nach verschwitzter Tabledance-Bar und vollgekotztem Taxi. Er fuhr den Computer herunter. Außerdem: Reden. Planlos. Nicht diese ausufernde Recherche und das großteils erfolglose Frage-und-Antwort-Spiel, mit denen er den Nachmittag verbracht hatte.
Zuerst hatte er sich die Internetseiten angesehen, die auf den Inseraten vermerkt waren, die Schäfer in der Stadtzeitung angestrichen hatte: energethik-zentrum.at, energie-der-sterne.de, lichtkreis.at, incarnation.nets.at … die Vielzahl der unterschiedlichen Themen, die dort behandelt wurden, war allein schon ein Grund, misstrauisch zu werden. Noch mehr Skepsisfurchen auf Bergmanns Stirn erzeugten die Themen selbst: der globale Transformationsprozess, das Todesphantom, die Polverschiebung, holomantische Heilweisen, Clearing, Engelweihen, Geistheilung, Rückführungen, Geomantie … je länger Bergmann die Texte dazu überflog, desto gewisser war er sich, dass die Verfasser ihre Botschaften tatsächlich von woanders als aus dem eigenen Verstand empfingen: Psilocybin, Meskalin, übertriebener Marihuanakonsum … Nein, diese Vorverurteilung war so bieder wie falsch: Er hatte genug dieser Menschen getroffen, um zu wissen, dass sie vergleichsweise unempfänglich für legale und illegale Drogen waren – zumindest für einen langfristigen Missbrauch, der psychische Schäden mit sich brachte; zudem waren sie seiner Erfahrung nach – und auch den Kundgebungen auf ihren Internetseiten nach – das genaue Gegenteil der Klientel, mit der er beruflich regelmäßig zu tun hatte: Seine typischen Gewalttäter waren Männer zwischen achtzehn und fünfundfünfzig, bescheidenes Bildungsniveau, Hang zum Alkohol, niedrige Aggressionsschwelle, primitiv gesagt: Balkanmigranten oder FPÖ -Anhänger oder beides.
Warum also hatte sich Schäfer für diesen esoterischen Schabernack interessiert? Tatsächlich, um sich von seinen Medikamenten lossagen und mithilfe holomantischer Irgendwas seine Depressionen in den Griff zu bekommen? Oder weil er auf ein Verbrechen gestoßen war? Oder beides: Er hatte probeweise an einem dieser Seminare teilgenommen – hilft’s nichts, schadet’s nichts – und war mehr oder weniger zufällig an Personen geraten, die sich illegaler Tätigkeiten schuldig gemacht beziehungsweise solche in Planung hatten. Bergmann sah sich einen der Nachberichte an, die zu The Gathering: Lichtarbeiter-Event im Bregenzer Wald veröffentlicht worden waren. Ein wenig pompöser Seminarraum – Typ Hotel Alpenrose –, auf den Sesseln hingebungsvolle Menschen in ökologisch korrekter Kleidung mit friedlich beseeltem Blick. Der Redner: „Durch die Zunahme von Sonnenwinden und die gesteigerte Poldrehung werden in naher Zukunft verstärkt Erdbeben, Vulkanaktivitäten und weitere Klimaverschiebungen stattfinden. Alle diese Veränderungen scheinen ein Ziel zu haben: dass im Jahre 2012 ein Evolutionssprung im Bewusstsein stattfindet,
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