Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
einen Freibrief für einen Vollrausch haben …“
„Täusch dich da nicht … wir haben zwar keine extremistischen Gruppen mit entsprechendem Hintergrund auf dem Radar, aber das heißt nicht, dass es sie nicht gibt … diese Bedrohungsszenarien haben einen anderen Charakter als noch vor zehn Jahren … erinnerst du dich an diese Neonazis, die übers Internet ein paar Hundert Kilo Kunstdünger gekauft haben?“
„Nein … sollte ich?“
„War vor fünf Jahren … bestellen auf einer Homepage für Gärtner den Dünger mit dem höchsten Ammoniumnitratanteil, hätte genug Sprengstoff ergeben, um die Reichsbrücke in die Luft zu jagen. Wir observieren die Jungs, aber die machen nichts damit, lagern das Zeug, als ob sie in ferner Zukunft unter die Viehfutterbauern gehen wollen … zwei Monate später greift sie eine Streife auf, weil sie besoffen Hakenkreuze auf ein Haus schmieren … jetzt dürfen wir den Dünger offiziell finden, verhören die Kasperl und einer gibt ganz offen zu, dass sie schon vorgehabt hätten, ein paar Bomben zu bauen. Aber einmal haben sie nicht gewusst, wie und waren zu faul oder zu blöd, um sich weiterzubilden … und bevor sie überhaupt was sprengen hätten können, haben sie sich wegen des Ziels des Anschlags zerstritten! Der eine wollte eine Moschee in die Luft jagen … der andere – und jetzt pass auf! – der war dafür, dass sie den Parteiobmann der FPÖ bei einer Kundgebung mit einer Bombe töten. Weil die rechten Brüder dann sofort geglaubt hätten, dass die Autonomen oder die Muslime dahinterstecken, und das hätte zu einer Mobilisierung der Anhängerschaft geführt … ich habe das Verhör abbrechen müssen, sonst hätte ich mir in die Hose geschifft …“
„Na ja, in taktischer Hinsicht hat der Knabe immerhin einen Schritt weiter gedacht … das ist schon mehr, als ihr Parteiobmann je zustande bringen wird …“
„Völlig richtig, und genau das ist das Problem …“
„Was jetzt?“, Bergmann war aus der logischen Kette ausgestiegen.
„Die hierarchischen Strukturen, die sich auflösen … vor fünfzehn Jahren hast du bei den meisten radikalen Muslimen, und bei den Rechten sowieso, noch eine zentrale Person gehabt, die die Linie vorgegeben hat … wenn du den im Visier gehabt hast, Telefon, Post und das ganze Programm, war schon einmal Ruhe im Karton … aber seit dem Internet und der globalen Vernetzung schaut das anders aus … bis auf ein paar Ausnahmen haben wir keine Stammkunden mehr …“
„Ich habe eher den gegenteiligen Eindruck … dass sich immer mehr einen Führer wünschen, der ihnen zeigt, wo’s langgeht …“
„Stimmt in Bezug auf die gesellschaftliche und politische Entwicklung … aber diese Hohlköpfe machen mir keine Sorgen …“
„Mir ehrlich gesagt schon“, sagte Bergmann, „wenn ich an die letzte Wahl denke …“
„Zwei Paar Schuhe … dass dieser versoffene Idiot fünfundzwanzig Prozent bekommt, gefällt mir auch nicht … praktisch ist halt, dass du ihm auf seinem Wahlkampf eine Woche lang mit der Kamera hinterherfahren kannst und quasi die gesamte rechtsradikale Szene fürs Familienalbum Aufstellung nimmt … die sind eine Gefahr für die Verfassung und das Gemeinwesen, sicher, aber nicht als akute terroristische Bedrohung … gefährlich sind die kleinen Zellen und Einzelpersonen, die sich ihre eigene Ideologie schaffen, ein paar Leute in Wien, ein paar in Moskau, ein paar in Seattle … und sobald man irgendwo dran ist, wohnen sie plötzlich woanders, haben andere Kontakte, da kann es dir passieren, dass sich ein bisher völlig unauffälliger Achtzehnjähriger innerhalb einer Woche entscheidet, eine Bombe zu legen, weil ihm die gleiche Musik gefällt wie seinem neuen Bekannten, dem aber die Regierung gar nicht gefällt …“
„Da sind wir aber wieder bei den Amis …“
„Nein … Deutschland … vierzehn Kilo Selbstgebauter am Bahnhof von Düsseldorf … ist nicht explodiert … das ist die Entwicklung, der wir entgegensteuern … ETA, IRA, RAF … das ist passé … die größte Gefahr geht inzwischen von menschlichen Zeitbomben aus, die ihre Anschlagsziele nicht nach deren politischer oder gesellschaftlicher Bedeutung auswählen, sondern danach, wo es am leichtesten möglich ist …“
„Hm, verstehe“, Bergmann juckte es in den Beinen, er wollte laufen, hecheln, schwitzen, „also was ist der aktuelle Stand in Bezug auf Eisert?“
„Eisert? … Wir können nicht hundertprozentig ausschließen, dass er ein
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