Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
wesentlich gefährlicher – wenn auch in erster Linie für sich selbst und ihre Angehörigen – wurden einige New-Age-Sekten eingestuft, die das Jahr 2000 als verheißungsvollen Zeitpunkt sahen, um ihren irdischen Körper zu verlassen und mittels Raumschiffen, Astralstrahlen, Rissen im Raum-Zeit-Kontinuum und Ähnlichem auf eine höhere Ebene zu wechseln. Wenn dieses Denken zum Suizid einer Person führte: Einzelschicksal. Doch aus der Erfahrung der letzten dreißig Jahre war nicht nur beim FBI die Gewissheit entstanden, dass die Absichten dieser Sekten ernst zu nehmen waren – zumal der sogenannte freiwillige Abschied zumeist als Massentötung geschah, siehe Jonestown, Heaven’s Gate, David Koresh, siehe Sonnentempler, siehe die Bewegung zur Wiedereinsetzung der Zehn Gebote, siehe AUM in Japan und so weiter.
Zur ernsthaften und permanenten Bedrohung erklärte das FBI in seiner Analyse zahlreiche extremistische Gruppierungen, die überzeugt waren, dass zum Milleniumswechsel der Endkampf zwischen Gut und Böse beginnen würde. Einmal militante religiöse Fundamentalisten – der Odin-Kult, die Christian Identity, die Phineas-Priester, The House of Yahweh und andere Vereinigungen, die sich selbst als von Gott Auserwählte sahen und Armageddon als heiligen Endkampf gegen die Antichristen aller anderen Ethnien und Anschauungen. Dann militante rechtsextreme Verbindungen wie The Arian Brotherhood, The Order, die National Alliance, The New American et cetera, die zur Jahrtausendwende ebenfalls den Beginn von Armageddon erwarteten – allerdings nicht als himmlischen Feldzug, sondern als Kampf gegen eine irdische Verschwörung seitens der US -Regierung, der UNO , der Juden und anderer konspirativer Kräfte, die mithilfe der Y2K -Computerkrise das Land ins Chaos stürzen und dann zum finalen Schlag gegen das freie Amerika und die weiße Rasse ausholen würden, um die sogenannte New World Order ( NWO ) zu etablieren – eine sozialistische Weltregierung, die die freie Religionsausübung ebenso verbieten würde wie den privaten Waffenbesitz, den Heimunterricht und andere bedeutende Errungenschaften der nordamerikanischen Zivilisation.
Bergmann hob die Arme über den Kopf und streckte sie durch, bis er ein paar Wirbel knacken hörte. Schön und gut. Dass die USA nicht nur das Monopol von Bill Gates hervorgebracht hatten, sondern auch das der Spinner und Serienkiller, war nichts Neues. Und dass sich diese pseudoreligiösen und rechtsextremen Freaks nach dem ausgebliebenen Endkampf zu Beginn des Jahres 2000 beschämt zurückgezogen und ihren Irrtum eingesehen hätten: Ha ha. Dann gab es eben einen neuen Termin, und der war laut FBI und Megiddo II das Jahr 2012, wo nicht nur der Maya-Kalender endete, sondern auch eine Verstärkung der Polverschiebung, eine mögliche Supernova des Sterns Beteigeuze und anderes mehr als Auslöser für terroristische Aktivitäten besagter Gruppierungen und so weiter. Bergmann legte die Ausdrucke beiseite und ging in die Küche, um sich ein Käsebrot zu machen. Schwachsinn, sagte er sich, während er kauend am Herd stand. Was sollte er mit den Hunderten von Seiten anfangen, mit denen Lorenz ihn zumüllte? Waren da irgendwo mit Leuchtstift die Namen Plier, Eisert, Foster, Tannhäuser, Schäfer oder Troger hervorgehoben? Eben. Er konnte nichts anfangen mit diesen unzähligen fadenscheinigen Verbindungen … Timothy McVeigh … ja, der hatte 1995 den Bombenanschlag auf das Murrah Federal Building in Oklahoma City verübt und dabei 168 Menschen getötet … bei seiner Festnahme hatte er eine Ausgabe der Turner Diaries bei sich, ein Buch, das beschreibt, wie eine rechtsextreme Miliz in den USA die Macht übernimmt … und eine Ausgabe der Turner Diaries war neben anderen einschlägigen Büchern auch in der Bibliothek von Thomas Eisert gefunden worden … aber was hieß das schon? Bergmann hatte keine Lust, ein paar Wochen kiloschwere Studien zu durchforsten, die ihm irgendwann erklärten, welche Fehler sein ehemaliger Vorgesetzter, Major Schäfer, begangen hatte, die dazu geführt hatten … er wünschte sich klare Spuren: Fingerabdrücke, DNS , Namen, Adressen … sollte es nicht auch das sein, was das BVT wollte, verdammt noch mal?
Einen Augenblick überlegte er, die restlichen Dateien durchzusehen, und entschied sich dagegen. Er legte die Ausdrucke zu einem Stapel zusammen und fuhr den Computer herunter. Er brauchte Abstand. Je mehr einseitige Informationen man in kurzer Zeit aufnahm, desto
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