Engelherz - Band 1-3
gebracht, ich habe sie lieb gewonnen und dann entscheiden sie sich dafür, mich zu verlassen und ihr eigenes Leben zu leben. – Und mir bleibt nichts anderes übrig, als zuzusehen!“
Jedes Mal fragte ich mich im Stillen, ob Jahve, als der Sündenfall geschah, sich so gefühlte hatte. – Wie der Vater mündiger Kinder, die seinen Rat ignorierten und sich willentlich ins Unglück stürzten. – Oder ob alles nur eine Verkettung unglücklicher Zufälle gewesen war.
„ Vielleicht ist das die wahre Strafe für den Sündenfall: Selbständige Kinder. Kinder die gegen ihre Eltern rebellierten, die Fehler machten und die nicht ewig unschuldig bleiben? Kinder, die alles besser wissen und die man nicht beschützen kann. Ein ewiger Kreislauf!“
Aber ich brachte es nie übers Herz, mit Eva über dieses Thema zu reden. Ich wollte sie nicht an Eden erinnern und ihr nicht die Parallelen aufzeigen. Parallelen, die sie sicherlich von vornherein verleugnet hätte.
So hielt ich sie meistens eine halbe Stunde lang einfach nur ihm Arm und dachte nach, bis sie sich wieder beruhigt hatte und weiter reden konnte.
„ Lilith, sie sterben! Meine Kinder werden sterben! Sie gehen in die Welt hinaus und sind so voller Hoffnung, voller Pläne. Aber eines Tages werden sie sterben! – Ich kann ihnen nicht sagen, dass sie sterben werden. Und dass es meine Schuld ist!“
„ Gibt Jahve sich auch die Schuld? Bereut Jahve schon, mich als erste geschaffen zu haben? Uns die freie Wahl zugestanden zu haben?
Macht Jahve sich stille Vorwürfe, wenn niemand da ist, um sie zu hören?“
Meistens riss mich Eva aus diesen trübsinnigen Überlegungen, indem sie wiederholte, dass sie Schuld sei. An allem.
In diesen Momenten liebte ich Eva. Für alles was sie tat und sagte, liebte ich sie.
„ Es ist nicht deine Schuld!“ flüsterte ich jedes Mal an dieser Stelle.
„ Doch! Und wir beide wissen es!“
Ich konnte soviel erzählen, wie ich wollte. Sie blieb bei dieser Meinung und sie war nicht alleine mit ihr, denn auch die Engel kannten die ganze Geschichte.
Doch nicht alle verurteilten sie deswegen. Einige glaubten sogar, dass der Sündenfall von Anfang an geplant gewesen war.
Doch ihr schärfster Widersacher und Kritiker war mein Engel! Samiel verschwand immer, wenn Eva zu Besuch kam. Er wollte sie nicht sehen.
„ Sie ist es, die das Leid über die Menschen gebracht hat“, pflegte er zu sagen und wollte nichts anderes hören. „Wenn du sehen könntest, was ich sehe und wüsstest, was ich weiß, würdest du sie auch nicht mehr lieben oder Verständnis für sie haben!“
Aber ich hatte Verständnis für Eva. Sie hatte so gehandelt, wie sie es für Richtig gehalten hat und sie hatte aus Liebe und der Angst vor dem Alleinsein gehandelt. – „Gerade Samiel sollte das verstehen!“
Doch jede Diskussion mit ihm in dieser Richtung verlief ins Leere oder endete in einem Streit, weil er sich weigerte, mir zu erzählen, was er sah und wusste.
So hätte es noch bis in alle Ewigkeit weitergehen können, aber irgendwann kam der Tag des ersten toten Menschen. Doch er kam anders und früher als ich es je für möglich gehalten hatte.
Es war kein Unfall, kein wildes Tier und auch kein natürliches Ableben.
Kain erschlug Abel!
Ich saß auf meinem Lieblingsbaum und beobachtete wie so oft die Menschen, schenkte dem Streit zwischen den beiden Brüdern aber keine große Beachtung. Sie stritten und schlugen sich häufig.
Erst als ich Evas gellenden Schrei hörte, bemerkte ich, dass Abel am Boden lag und sich nicht mehr regte. Ich wusste sofort, dass er nicht mehr lebte, dass er tot war.
Kain stand vor ihm und weinte fassungslos. Und die Anderen, sie wussten nicht, ob sie ihn für seine Tat verurteilen sollten, oder nicht, denn bisher hatte niemand gewusst, dass auch Menschen sterben konnten.
„ Was entsetzt sie mehr? Dass sie auch sterben können, oder dass sie in der Lage sind, einander umzubringen?“
Als hätten meine Gedanken einen Bann gebrochen, begannen Eva und die anderen zu weinen, schreien und zu wehklagen. So laut, dass ich den Schmerz über ihren Verlust nicht ertragen konnte.
Ich floh. – Kopflos sprang ich von meinem Baum und lief zu meiner kleinen Hütte am See. Lief hinein und sperrte die Tür hinter mir ab, als könnte ich so auch die Erinnerung an die Trauer und den Tod aussperren.
Und Samiel? Samiel, in dessen tröstende Arme ich mich hatte werfen wollen? Er war nicht da, keine Spur von ihm, keine Nachricht.
„ Jahve! Sie
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