Engelherz - Band 1-3
Liebevoll sah sie mich an.
„ Ich mache mir keine Sorgen um mich, sondern um dich!“, meinte sie zu mir und widersprach so Samiel, ohne auf ihn einzugehen. „Du wirst immer die Böse sein. Die, die Schuld ist am Sündenfall, am Tod. – Für immer die Schlange, die Verführerin.“
Sie schwieg und Tränen liefen ihr über die Wangen. „Wie lange wirst du es ertragen können? Ich werde eines Tages sterben – aber du wirst damit leben müssen, ewig!“
Ihre Stimme war ein ersticktes Schluchzen.
Aufgewühlt bemühte ich mich um ein beruhigendes Lächeln. Ich spürte Samiels Hand auf meiner Schulter. „Ich werde alles ertragen können, solange Samiel bei mir ist!“
Eva nickte und stand auf. Ohne sich an meinem Engel – oder dem Monster – zu stören, küsste sie mich abermals, ohne dass sich derselbe Effekt einstellte, wie zuvor.
Ihr leise gehauchtes „Lebewohl“ gegen meine Lippen erinnerte mich daran, dass der Zeitpunkt gekommen war, sie ihr eigenes Leben leben zu lassen.
Trotzdem wusste ich, es würde nur ein vorläufiger Abschied sein.
Ich blieb in ihrer Nähe, auch wenn Samiel meine Entscheidung nicht verstand. Aber ich blieb, weil ich Adam und Eva liebte, weil ich mir Sorgen machte, weil ich auch ein Mensch bin.
Ich blieb, weil ich wissen wollte, wie es weiterging, weil ich glaubte, dass alles einen Sinn haben muss. „Sonst würde Jahve doch eingreifen, oder nicht?“
So stand ich abseits der Weltordnung und beobachtete die neue Welt: Die Tiere, dass Töten und das Fressen und verabscheute es.
Doch Samiel, mein Engel, er litt unter diesem Sterben, als sei es ein persönlicher Angriff gegen alles, was er glaubte und wofür er lebte.
„ Wieso schafft Jahve solch schöne Dinge und all die Tiere und lässt sie dann sterben?“, fragte er mich mindestens einmal täglich.
Noch mehr litt er darunter, dass auch die Menschen töten mussten, um zu überleben. Samiel schien zu spüren, wann ein Lebewesen starb, um ein anderes zu ernähren und seine Augen verfinsterten sich jedes Mal.
„ Wieso muss es so sein? Gibt es keine andere Möglichkeit?“
Ich schwieg, um diese Frage nicht beantworten zu müssten und auch Jahve gab ihm keine Antwort. Jahve kam nicht mehr auf die Erde, denn die Menschen hatten sich entschieden. Entschieden, vom Baum der Erkenntnis zu essen und nun mussten sie mit ihrer Entscheidung und mit ihrer Erkenntnis leben.
„ Vielleicht hätte ich auch von den Früchten des Baumes essen sollen. Vielleicht hätte ich dann verstanden?“
Aber der Baum war unrettbar mit Eden verschwunden und so war und würde ich der einzige Mensch auf der Welt bleiben, der vom Sündenfall nicht betroffen war.
Durch ihre Übertretung konnten Adam und Eva nicht mehr sehen, dass sie rund um die Uhr von Engeln umgeben waren, die sich um sie kümmerten. Diese hielten die wilden Tiere fern und sorgten dafür, dass es den beiden an nichts mangelte.
Aus der Ferne beobachtete ich, wie Eva ein Kind nach dem anderen bekam. Wie Adam auf die Jagd ging, um zu töten. Wie er Früchte für seine Familie sammelte und wie diese Familie immer größer wurde.
Für Menschen wurden Adam und Eva uralt, aber das wusste ich damals noch nicht. Ich zählte einfach die Tage, die sie lebten. Die ersten fünftausend vergingen wie im Flug, weitere zehntausend, in denen die Kinder wuchsen und selber Kinder bekamen.
Eines Tages hörte ich auf zu zählen.
Wie ein beschützender Engel stand ich abseits und beobachtete. Sah zu, wie die Gemeinschaft der ersten Menschen immer größer wurde, wie sich ab und zu kleinere Gruppen absonderten und weggingen, um die Welt zu erforschen und sich woanders niederzulassen.
Ich sah zu, wie Eva immer, wenn eines ihrer Kinder oder Kindeskinder die Gruppe verließ, am Boden zerstört war. – Sie war so glücklich, wenn Kinder geboren wurden und so unglücklich, wenn sie gingen!
Meistens kam sie dann zu mir. Auf der Suche nach Trost den ich ihr nicht bieten konnte, war ich der einzige Mensch, dem sie bedingungslos vertraute. – Und sie war der einzige Mensch, dem ich vertraute.
Unsere Gespräche liefen beinahe immer gleich ab, denn es gab nichts, was ich ihr wirklich zum Trost sagen konnte, denn ich brachte es nicht über mich, zu lügen. – Und sie wusste genau wie ich, dass sie und ihre Kinder eines Tages sterben würden.
„ Weg sein, als hätten sie nie existiert“ , wegklagte meine innere Stimme.
„ Es tut so weh, Lilith!“, umarmte Eva mich oft.
„ Ich habe sie auf die Welt
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