Engelherz - Band 1-3
mich alles andere vergessen. Er strahlte eine Kälte und Verzweiflung aus, die ich schon in Babylon an ihm bemerkt hatte.
Ich hasste es an seiner Seite zu liegen, eng an ihn gekuschelt und nichts tun zu können. Nichts gegen den Tod und das Elend, welches er sah.
Ich dachte an die schönen Tage, an denen wir wie kleine Kinder am Strand herumgetollt waren und hielt mich an dieser Erinnerung fest. „Vielleicht ist sie alles, was dir bleiben wird.“
Als hätte er meine Gedanken gelesen, strich Samiel mir meine meernassen Haare aus dem Gesicht und übersähte es mit kleinen Küssen. Ich sah den Schalk in seinen Augen aufblitzen und versuchte wegzurobben, doch er war schneller als ich.
Als er mich in eine Position gebracht hatte, in der ich mich nicht mehr wehren konnte, hielt er mich sanft fest und verschlang mich mit den Augen.
„ Liebst du die Menschen?“, fragte er leise und beobachtete mit einer gerunzelten Stirn, wie ich nickte.
Ich hasste die Menschen, ich liebte die Menschen, ich bewunderte sie, ich verachtete sie. – Alles gleichzeitig. Und konnte nicht verhindern, dass bei seiner Frage diese unerklärliche Sehnsucht nach ihnen wieder in mir aufstieg.
Samiel schien meine Melancholie zu spüren, denn er lachte melodisch, obwohl in seinem Blick ein Hauch Sorge lag.
Er ließ mich los und ich war dankbar dafür, denn unwillkürlich wandten sich meine Überlegungen wieder der Menschheit zu. Ich überlegte, wie ich meinen Wunsch, nach Eden zurückzukehren formulieren sollte, ohne meinen Engel zu verletzen.
Mein Blick streifte sein Gesicht und ich erschrak über den leeren Ausdruck in seinen Augen. „Er sieht wieder die Toten!“
Erst jetzt erhielt ich einen kleinen Einblick in seine Qual. „Leiden alle Engel so?“
Vorsichtig berührte ich den Engel am Arm. Er fühlte sich kaum noch menschlich an, kaum noch wie ein Lebewesen.
Als hätte mich die Berührung verbrannt, zog ich meine Hand von ihm. „Wie eine Statue.“
Plötzlich hatte ich unendliche Angst ihn an die Kälte in seinem Antlitz zu verlieren, sicher, sie würde einen Weg zu seinem Herzen finden und ihn von mir entfremden, ohne dass es etwas gab, was ich würde tun können.
„ Samiel!“, flüsterte ich leise, mit Nachdruck.
Er reagierte nicht, sein Blick ruhte in der Unendlichkeit. Vielleicht in Geheimnissen der Schöpfung, die ich nicht erkennen konnte.
Verunsichert berührte ich sein Gesicht, das perfekte Gesicht eines vollkommenen Engels. Als ich seine Lippen berührte, dass einzige, was mir an ihm noch menschlich, empfindlich schien, sah er mich mit einem leeren, verlorenen Blick an.
Einem Blick den ich kaum ertrug, der mir ins Herz schnitt. Als sei etwas geschehen, vor dem er sich schon immer gefürchtet hatte. Als seien seine schlimmsten Befürchtungen wahr geworden.
„ Lilly!“, hauchte er leise, es klang wie ein Gebet, bevor sein Blick mich wieder verließ und in die Ewigkeit schweifte.
Er wirkte mehr denn je wie aus Stein gemeißelt.
Zitternd stand ich auf und entfernte mich ein Stück von ihm. Als ich mir sicher war, dass er mich nicht mehr hören konnte, rief ich leise nach Jahve. – Und erhielt keine Antwort. – Trotzdem hielt ich einen kurzen Monolog. Bat um Hilfe, um Verständnis, Vergebung.
Darum, Samiel von seiner Last zu befreien. – Welche auch immer ihm zu schaffen machte. Bat um Samiel, für Samiel.
„ Du klingst genau wie die meisten anderen Menschen, genauso allein und genauso hilflos!“, meinte Samiels verbitterte Stimme hinter mir.
Ich fuhr herum. Ertappt.
Samiels Augen leuchteten golden und seine Flügel hoben sich dunkel vor dem Himmel ab. Ich wusste, er war wütend. Wütend auf mich, weil ich über ihn und meine Gefühle geredet hatte. – Auch wenn niemand zuhörte. – Auch wenn er zu weit weg gestanden hatte, um meine Worte zu hören.
Er schloss die Augen, wie um seine Wut auszusperren. „Lilly! Ich höre Gebete! – All ihre Gebete!“ Er warf mir einen unglücklichen Blick zu. „Genau, wie ich deine Gebete an Jahve höre, wenn du sie aussprichst!“
Er zitterte und wirkte so mitgenommen wie nie zuvor.
„ Und ich höre die Lebenden und die Toten!“
Als Samiel vor mir auf die Knie fiel, entrang sich meiner Kehle ein erschrockener Laut. Ich unterdrückte den Wunsch, ihn beschützend in die Arme zu nehmen, aus Angst davor, was er weiter erzählen würde.
Flehend sah er zu mir auf. „Lass es uns beenden, Lilith!“ Er umschlang meine Schenkel und drückte sein Gesicht an meine Haut.
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