Engelsauge - Die Jagd beginnt (German Edition)
zu seiner Frau und so wurde mein Leben bei den Jonsens noch unerträglicher. Erst vor wenigen Monaten hatte ich endlich den Mut aufbringen können und Gregory, der auch mein richtiger Onkel war, gefragt, warum sie mich eigentlich adoptiert hatten. Es war mehr der Gesichtsausdruck, der mich etwas geschockt hatte, als die belanglosen Wörter, mit denen er jonglierte. Jedes Kind hätte vermutlich sofort gemerkt, dass er dieser Frage mit einer Lüge ausgewichen war.
Während der Beerdigung hatte ich dieses eine bestimmte Gefühl, beobachtet zu werden, aber nicht von den anwesenden Trauergästen. Es war dieses eine merkwürdige aber bestimmte Gefühl, beobachtet zu werden, aber ich konnte niemanden ausfindig machen, zu dem dieses Gefühl gepasst hätte.
Meine Narbe schmerzte und ich verfluchte diesen Moment, wo die beiden ums Leben gekommen waren. Tessa und ich sollten nicht jetzt schon an diesen Gräbern stehen müssen. Den Unfall meiner Eltern hatte ich schon nicht verstanden, aber jetzt war es auch nicht anders. Sie hätten was getrunken und wären von der Fahrbahn abgekommen, woraufhin sie in den Fluss stürzten und sich nicht mehr aus ihrem Wagen befreien konnten. So der Stand der ermittelnden Polizei. Ich konnte es nicht verstehen, wollte es vermutlich auch einfach nicht. Auch wenn ich mich auf der einen Seite über meine neue Freiheit freute, so verließen mich nach meinen leiblichen Eltern nun auch die beiden Personen, die mich all die Jahre aufgezogen hatten.
Endlich war die Beerdigung zu Ende und ich konnte mich sofort auf den Weg nach Hause machen. Zumindest würde es noch für die nächsten zwei Stunden mein Zuhause sein, denn dann würde ich von hier weggehen und alles hinter mir lassen. Marcia und Gregory hatten das Haus ihrer leiblichen Tochter Tessa vermacht, die es gar nicht erwarten konnte, mich nach all den Jahren endlich loszuwerden.
Aber mir war es egal, denn ich war voller Freude, endlich wieder in meine alte Heimatstadt zurückkehren zu können. Besonders deshalb, weil ich mir auf diese Weise erhoffte, mit den Nachforschungen über meine Eltern endlich die gewünschten Antworten zu finden. Onkel Stewart, der andere Bruder meiner Mutter, hatte mir kurz nach dem Ableben meiner Adoptiveltern angeboten, dass ich wieder bei ihm leben könnte und dies hatte ich sofort dankend angenommen. Gregory, der ältere Bruder meiner Mutter, hatte mir einiges über meine Eltern erzählen können, aber dabei ging es mehr um die üblichen Dinge, die man über Verstorbene erzählt. Vielleicht wusste er auch einfach nicht mehr, denn immerhin lebte er damals schon Tausende Kilometer von meinen Eltern und von Vanicy entfernt - im Gegensatz zu Stewart, mit dem ich über all die Jahre immer in Kontakt geblieben bin und auch besser zurecht kam als mit Gregory. Ich würde also meine Hoffnung auf Stewart setzen müssen, der zusammen mit meinen Eltern all die Jahre in Vanicy gelebt hatte. Warum ich damals nicht gleich bei ihm bleiben durfte, weiß ich bis heute nicht. Dazu hatte sich nie einer von ihnen geäußert.
Mittlerweile hatte ich alles, was mir gehörte, und das war nicht viel, eingepackt. Das Taxi stand, ebenso wie Tessa, wartend vor dem Haus, während die Sonne mit dem hellblauen Himmel um die Wette strahlte. Tessas lange blonde Mähne wirkte dadurch noch heller als sonst. Sie hatte ihre schwarzen Kleider von der Beerdigung gegen eine blaue Jeans und einen eng anliegenden orangefarbigen Pullover ausgetauscht, und wenn man sie so ansah, glaubte man nicht, dass sie heute ihre Eltern zu Grabe getragen hatte.
Sie mochte mich nicht, das war schon lange kein Geheimnis mehr. Warum sie mich nicht mochte? Mal waren es meine blauen Augen, dann wieder meine schulterlangen goldbraunen Haare, über die sie etwas zu meckern hatte. Und an einem anderen Tag war es wieder etwas ganz anderes. Als ich daran zurückdachte, musste ich unwillkürlich lächeln. Jetzt, mit Anfang zwanzig, war es eigentlich ziemlich deutlich. Mit meinem Einzug damals hatte sie zwar eine Schwester, aber in erster Linie eine Konkurrentin bekommen. Sie war damals sieben und völlig verzogen gewesen. Ihre Mutter war vor allem diejenige, die Tessa nie etwas abschlagen mochte und das hat sich Tessa stets geschickt zu Nutzen gemacht. Oft hatte Marcia deswegen Streit mit Gregory gehabt, aber er war der Typ Mann, der sich seiner Frau lieber unterordnete und den Streit schnell schlichtete, als seine eigene Meinung konsequent zu vertreten.
Nun stand diese
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