Engelsbann: Dunkle Verlockung Teil 2 (German Edition)
wieder nicht, sein Kopf war ausgefüllt von den Echos des Bösen und dem Gelächter derer, die ihn schlimmer als ein Tier erniedrigt hatten.
»Es ist vollbracht«, hatte Raphael gesagt, als alles vorüber gewesen war, und in seinem Gesicht hatte sich sein gnadenloses Urteil gespiegelt, seine Flügel hatten vor Macht geleuchtet. »Sie wurden hingerichtet.«
In jenem Augenblick hatte Noel mit grausamer Freude gesagt: »Gut.« Doch heute wusste er, dass Vergeltung allein nicht ausreichte. Seine Angreifer hatten Spuren an ihm hinterlassen, die vielleicht nie wieder verblassen würden.
»Noel.«
Beim Klang der vertrauten weiblichen Stimme hob er den Kopf und sah, dass Nimra auf den Flur hinausgetreten war, wo er in dem vergeblichen Versuch, dem Gelächter zu entkommen, auf und ab lief. »Ich habe dich geweckt«, sagte er. Es war weit nach Mitternacht.
»Für mich ist Schlaf ein Luxus, keine Notwendigkeit.« Ihre strahlenden, von schimmerndem Bernstein durchzogenen Topasaugen hoben sich lebhaft vor dem Cremeweiß ihres fließenden Kleides ab, das an den Schultern von Spangen zusammengehalten wurde. Sie sagte: »Ich möchte im Garten spazieren gehen.«
Noel begleitete sie. Schweigend gingen sie nebeneinander her, bis sie die schönen, gespenstischen Schatten der Wälder erreicht hatten, aus denen der Fluss entsprang. »Ein Unsterblicher hat viele Erinnerungen.« Ihre Stimme klang wie eine intime Zärtlichkeit in der Nacht, in ihren Worten lag der Schmerz uralten Wissens. »Selbst die schmerzlichsten unter ihnen verblassen mit der Zeit.«
»Manche Erinnerungen«, sagte er, »sind festgewachsen.« So wie das Glas in seinem Fleisch festgewachsen war, wie … andere Dinge in seinem Körper festgewachsen waren. Seine Hände ballten sich zu Fäusten.
Nimras Flügel streifte seinen Arm. »Aber möchtest du, dass diese Erinnerung wie ein Diamant strahlt und immer im Vordergrund bleibt?«
»Ich kann es nicht steuern«, gab er zu, sein Kiefer so fest angespannt, dass das Geräusch der aneinanderreibenden Knochen die flüsternden Geheimnisse der warmen Nacht über Louisiana auslöschte.
Unter dem silbrigen, zarten Licht des Mondes sah ihm ein Engel mitfühlend in die Augen. »Du wirst es lernen.« In ihrer Stimme lag absolute Zuversicht.
Er lachte schroff auf. »Wirklich? Warum bist du dir da so sicher?«
»Weil es das ist, was dich ausmacht, Noel.« Sie trat auf ihn zu und hob die Hand, um sie an seine Wange zu legen, hinter ihr wölbten sich ihre Flügel.
Er zuckte unter der Berührung zusammen, doch sie zog die Hand nicht zurück. »An dem, was man dir angetan hat, wären andere zugrunde gegangen. Du nicht.«
»Ich bin nicht mehr derselbe wie vorher.«
»Ich ebenfalls nicht.« Als sie die Hand sinken ließ, musste er feststellen, dass er die Nachtluft auf seiner Haut nicht mehr spüren wollte, nachdem er Nimras Sanftheit gefühlt hatte. »Das Leben verändert uns. Sich etwas anderes zu wünschen, wäre sinnlos.«
Die pragmatische Wahrheit in ihren Worten traf ihn mehr als alle sanften Versicherungen. »Nimra.«
Sie sah ihn aus ihren unmenschlichen Augen an. »Mein Wolf.«
So atemberaubend, dachte er. So gefährlich. »Es gibt noch andere Möglichkeiten, den Einfluss der Erinnerungen zu mindern.« Es war eine plötzliche, instinktive Entscheidung. Er hatte sich zu lange im Dunkeln versteckt, viel zu lange.
Nimra wusste, was Noel wollte, und sie wusste auch, dass er kein einfacher Liebhaber sein würde, wenn sie sich darauf einließ. Weder währenddessen noch danach. »Schon seit vielen Jahren«, murmelte sie, den Blick auf die rauen Kanten seiner Gesichtszüge gerichtet, »hatte ich keinen Liebhaber mehr.«
Noel schwieg.
»Also gut.«
»Wie romantisch.«
Es lag ein Hauch Schwärze in diesen Worten, doch Nimra nahm es nicht persönlich. Sie nannte ihn ihren Wolf, und als solcher konnte er ihr auch die Zähne zeigen. Vertrauen war ein kostbares Gut, eines, das Zeit brauchte, um zu wachsen. Geduld war etwas, das Nimra schon vor langer Zeit gelernt hatte. »Romantik«, sagte sie, indem sie sich umdrehte und sich auf den Rückweg zum Haupthaus machte, »ist eine Frage der Interpretation.«
Von dem Mann an ihrer Seite kam kein Wort, bis sie sich hinter den geschlossenen Türen ihrer Suite befanden. »In welcher Interpretation auch immer«, warnte er sie, und die starre Beherrschung in seiner Körperhaltung verriet ihr, dass er sich auf einem haarfeinen Grat bewegte, »es ist nicht das, was du heute Nacht von mir
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