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Engelsberg

Engelsberg

Titel: Engelsberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinaldo Arenas
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die sie auf ihre Kaffeepflanzung mitzunehmen gedachte), um die Buchführung der letzten Ernte durchzugehen, ernsthaft alarmiert durch das Defizit mehrerer Kaffeebohnen.
    Doña Rosa, die ihren Mann schon im Schlaf wähnte, huschte auf leisen Sohlen aufgeregt aus ihrem Zimmer und trat behutsam in die Kammer ihres Sohns. Sie wollte ihm die Repetieruhr unter das Kopfkissen schieben. Dann hätte der Junge am nächsten Morgen, dachte seine Mutter, beim Aufwachen eine kleine Freude.
    Don Cándido allerdings, aufgebracht durch die Flucht seines Kochs, schlief keineswegs. Er war längst hinausgegangen in die Kutschenvorhalle, wo er sich heimlich mit Doña Josefa verabredet hatte, die schon auf ihn wartete. Rasch berichtete ihm Cecilias Großmutter in allen Einzelheiten von der Beziehung ihrer Enkelin mit Leonardo, von der Liebesbeziehung der beiden Geschwister also. Eine Tatsache, die Don Cándido noch stärker alarmierte als von Josefa erwartet.
    Auch Don Pedro hatte die Dunkelheit genutzt und sich über die Hintertreppe in die Küche hinuntergeschlichen, wo er mit Versprechungen und Drohungen versuchte, eine frisch aus Afrika gekommene schwarze Sklavin zu besteigen, die kein Wort Spanisch verstand.
    Während fast alle handelnden Personen in angeregter, wennschon nahezu lautloser Zwiesprache vertieft waren, stand Doña Rosa verzückt vor ihrem Sohn Leonardo und betrachtete ihn, der völlig nackt tief zu schlafen schien.
    Dabei schlief Leonardo Gamboa noch längst nicht, ganz im Gegenteil: In dem Moment, als seine Mutter ins Zimmer trat, hatte er gerade sein Nachthemd abgestreift, um sich einen Straßenanzug anzuziehen. Er war zu Punkt fünf Uhr, wenn Doña Josefa zusammen mit Doña Federica zur Frühmesse gehen würde, zu einem Stelldichein mit Cecilia Valdés verabredet. Friedlich schnarchend ließ er das Liebesgeflüster seiner Mutter über sich ergehen, die, wie zu ihrer Ehre gesagt sei, sich ungehört glaubte.
    »Kind meiner Seele! Mein bester Freund! Mein Liebling! Du bist meine einzige Liebe! Ja, du verstehst mich, du liebst mich. Du bist der einzige Mensch, mit dem ich leben möchte. Niemand wird uns je trennen, niemals!«
    Dieses letzte Wort allerdings versetzte den jungen Mann in Alarmstimmung, denn wenn Leonardo Gamboa eines wollte in diesem Moment, dann nicht nur, sich von seiner Mutter trennen, sondern weit ausfliegen und unverzüglich seine Geliebte umarmen.
    »Niemand wird uns je trennen! Niemand!«, wiederholte Doña Rosa, als hätte sie die Absichten des jungen Mannes erraten. »Hier ist dein Repetierührlein. Dieses und eine Million mehr sollst du haben. Oh, mein Seelenfreund!«
    Und sie beugte sich noch weiter über ihren Sohn, der vor lauter Schrecken nicht wusste, ob er sich weiter schlafend stellen oder, um diesem seltsamen und lästigen Monolog ein Ende zu machen, so tun sollte, als erwache er.
    Da passierte es, dass die kostbare Repetieruhr, ungewollt ausgelöst womöglich durch die erregte Doña Rosa oder aber kraft eines geheimnisvollen Mechanismus, so tosend zu läuten anfing, dass Doña Rosa erschrocken einen Schrei ausstieß und der Sohn, nackt, die Treppe hinunterrannte, bis er, wie zu erwarten war, auf Don Cándido prallte, der, als er (vor Schreck) die Arme hochriss, ungewollt das Zeichen »Ich will Feuer!« gab, was den jungen Tirso, der niemals schlief, sondern stets über die Wünsche seines Herrn wachte, veranlasste, zu ihm zu stürzen und ihm das große silberne Kohlebecken zu bringen, das überladen war mit prasselnder Glut, wovon ein Stück auf den nackten Körper Leonardos fiel, der mörderisch zu fluchen anfing und eine Maulschelle austeilte, die die arme Doña Josefa niederstreckte.
    Kaum entdeckte Doña Rosa die schwarze Sklavin in den Armen Don Cándidos (der ihr half, wieder auf die Beine zu kommen), schrie sie los: »Ehebrecher, Treuloser, Perversling!« Doch Don Cándido, der in der Dunkelheit nicht erkannt hatte, wer der nackte Mann war, der, Rosa hinter ihm her, die Treppe heruntergerannt kam, stieß mit dem Schrei »Hure!« seine Gattin gegen den großen Tisch in der Mitte des Speisezimmers.
    Bis ins Mark getroffen von diesem Wort, ließen die drei Schwestern, von denen sich jede einzelne persönlich angesprochen fühlte, ab von ihren Liebhabern und rannten hinunter in die Vorhalle, wo sie auf den Rest der Familie trafen, der dort miteinander im Streit lag, während Doña Josefa und die drei spanischen Militärs das Weite suchten. Diesen Männern jagte – so, wie er auf die

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