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Engelsberg

Engelsberg

Titel: Engelsberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinaldo Arenas
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raffinierte und exotische Scheinheiligkeit war Dolores Santa Cruz nicht gewohnt, und so mangelte ihr die Kraft, sie zu ertragen.
    Da passierte es, dass sie sich der Comtesse nicht nur zuwandte, um ihr den diamantenbesetzten Aufsteckkamm zu rauben (der dazu dienen würde, eine ganze Ladung englischer Gewehre zu kaufen), sondern in der Absicht auch, ihr die Haare auszureißen. Und das tat sie. Denn sicher ist, dass die Comtesse keine Glatze hatte, sondern dass sie, Dolores Santa Cruz, sie kahlköpfig machte, als sie mit ihrer sechsundfünfzig Jahre alten Wut der Dame die Mähne nahm. Und erst da, mit der gerade eroberten Haarpracht in der Hand, bei der sie nur bedauerte, dass nicht auch der Kopf daran hing, verspürte sie zum ersten Mal in ihrem Leben ein Gefühl absoluter Freiheit. Sie hatte nicht nur die Comtesse gedemütigt, sondern all die Leute, die sie nachzuäffen suchten. Allerdings war die Dame verwegener, als sie dachte, und verfolgte sie bis auf den Meeresboden.
    Doch die schwarze Dolores durchtauchte die Unterwasserhöhlen des Castillo del Morro und erreichte das vor Havanna gelegene Regla, wo sie (die Prachtmähne über ihre Rosinen gestülpt) unter Verschwörern und Piraten den Wert des wundervollen Aufsteckkamms taxierte und neue Rachepläne schmiedete.

Kapitel 19 Das Rendezvous
    »O mein Gott!«, rief Cecilia Valdés aus, als sie auf die alte, in die Wand des Schlafzimmers eingemauerte Uhr sah. »Es ist gleich fünf, und ich habe dich noch nicht fertig angemalt! Leonardo kann jeden Moment kommen.«
    Diese Worte richtete Cecilia, auch wenn es so aussah, nicht an die alte Wanduhr, sondern an ihre Urgroßmutter Amalia, deren schwarzer Haut die junge Frau mit einem in weiße Farbe getauchten Pinsel das Aussehen von Elfenbein verlieh. Und rasch pinselte sie weiter, ohne dabei mit dem Reden innezuhalten.
    »Weiß! Ja, blütenweiß! So muss er dich sehen. Leonardo wird nie erfahren, dass du eine kohlpechrabenschwarze Negerin bist. Wenn er es erfährt, wird er mich nie heiraten. Weiß! Eine Weiße! Nicht einmal eine Mulattin!«
    Die hundertjährige Schwarze ließ sich diesen Anstrich nur äußerst ungern gefallen, aber gebrechlich, wie sie war, konnte sie ihren Widerwillen kaum kundtun. Dennoch bekam sie unter großen Mühen ihre von der Lackhülle bedeckten Lippen auseinander und sagte mit sehr leiser Stimme, auch wenn sie hätte schreien mögen:
    »Cecilia, Kind, ich wa imma schwazz gewesn, und ich bins gerne. Lass ma wenigstns mit de Fabe sterbn.«
    »Wie!«, brauste die Urenkelin auf. »Das ist ja der Gipfel! Ich mache aus dir ein menschliches Wesen, und du hast noch etwas dagegen? Weißt du nicht, welche Mühe es mich gekostet hat, dieses Fass Farbe beim Katalanen an der Ecke Calle Empedrado zu bekommen? Zwei Unzen Gold hat er dafür verlangt. Hast du gehört? Zwei Unzen Gold!«
    »Ich will schwazz sein. Lass me de Fabe.«
    Noch einmal protestierte die schwarze Frau leise, besser gesagt, die weiße, schwarz war nämlich nur noch eine ihrer verdorrten Brüste, die ebenfalls jeden Moment die Farbe wechseln würde.
    »Du willst also schwarz sein, he? Aber begreifst du denn nicht, dass auf dieser Welt ein Neger weniger wert ist als ein Hund? Selbst wenn du arbeitest, dich freikaufst und sogar Geld hast, ist es immer noch sehr schwer. Du siehst es ja an Dolores Santa Cruz, man konnte ihr nicht verzeihen, dass sie in einem bequemen Bett wie die Weißen schlafen wollte, und auch einen Tilbury sollte sie nicht haben. Die Weißen haben ihr mit den Gesetzen, die sie selber machen, Fallstricke gelegt und ihr alles weggenommen. Wäre sie weiß gewesen, wäre ihr dergleichen nicht passiert … Darum werden meine Kinder Weiße sein. Weiße! Auch keine Mulatten! Sie werden nicht zu leiden haben, was du zu leiden hattest und was meine Großmutter zu leiden hatte.«
    In diesem Moment ging die Tür zur Straße auf, die Cecilia nur angelehnt gelassen hatte, und Leonardo Gamboa trat ein.
    »Leonardo!«, rief Cecilia, warf den Pinsel fort und lief zu dem jungen Mann.
    »Was sagt die schönste Mulattin der Welt?«
    »Du liebst mich nicht, Leonardo. Wenn du so etwas sagst, dann, weil du mich nicht liebst.«
    »Wie kann meine Cecilia so reden? Wo ich unter Gefahr meines Lebens hier bin! Du weißt doch, mein Vater und seine verdammten Neger lassen mich nicht aus den Augen.«
    »Diesa Hund weiß sehr gut, wassa tut«, murmelte die Urgroßmutter, einer Ohnmacht nahe.
    »Was ist denn das!«, rief überrascht Leonardo aus, als er

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