Engelsberg
mehrere Male die Statue Carlos III., sprang auf den Neptunbrunnen, jagte über die Löwen hinüber und erklomm in Windeseile die Stadtmauer. Zu Tode erschöpft warf sie einen Blick hinter sich und sah nur einen Schritt entfernt die glänzende Glatze der Comtesse, die, ohne ein einziges Stück ihrer Ausstattung zu verlieren – weder den monumentalen Fächer noch die aufgeregt kreischende Äffin –, ihr schon dicht auf den Fersen war. Eine wahrhaft historische Heldentat, wenn man es recht bedachte, hatte doch allein schon das komplizierte Gestänge der Unterröcke, die die Dame trug, mehrere Pferde des Hauses Montalvo zu Tode gehetzt.
Ohne eine Sekunde zu verlieren, streifte die gewandte Diebin ihre wenigen Kleider ab, sprang, mit dem Aufsteckkamm zwischen den Zähnen, in die trüben Wasser der Bucht und schwamm auf das Castillo del Morro zu.
Die Comtesse hielt auf der Mauer kurz inne, sah den schwarzen Körper zwischen den Wellen auf- und untertauchen. Brächte sie es fertig, bei der Verfolgung der Diebin ins Meer zu springen? Eine wirklich kopflose Unternehmung, aber war sie nicht ebenso kopflos? So sprang auch die adlige Dame, ohne die Gefahren abzuwägen und ohne irgendwelche Garderobe abzulegen, hinein in die Bucht.
Sei es durch den Sprung aus dieser Höhe oder wegen des ziemlich starken Winds der tropischen Dämmerung oder aber durch das Zusammenwirken beider Umstände, jedenfalls blähten sich die riesigen Röcke der Dame zu einem gewaltigen Ballon, ebenso ihr Jäckchen mit den Glockenärmeln und die kolossale Krempe des Huts, den sie wieder aufgesetzt hatte. Innerhalb weniger Sekunden wurde das königliche Frauenzimmer in Gestalt und Wirkung zur großmächtigen Fregatte, die schon, vom Wind getrieben, die Bucht verließ, den Golf von Mexiko durchquerte und mit geblähtem Segel Kurs hinaus auf den Atlantischen Ozean nahm. Selbst die abenteuerlichen bunten Bänder, die an der Dame flatterten, vergrößerten die Pracht des Ensembles noch, auf dem die überglückliche, herausgeputzte Äffin aus Madagaskar umhersprang. Sodass die Offiziere eines englischen Schoners (der gerade ein Sklavenschiff gekapert hatte) diese Bänder mit der Flagge ihres Landes verwechselten und beim Anblick der zerzausten, französisch gekleideten Langschwanzäffin nicht den geringsten Zweifel hegten, die Königin von England vor sich zu haben, die höchstpersönlich auf einem majestätischen Schiff kam, um ihre Überseebesitzungen zu besuchen; und ohne große Umstände zu machen, begrüßten sie sie mit einem Salut aus fünfundzwanzig Kanonenrohren.
Getragen vom Golfstrom und der Meeresbrise unter gleichzeitiger meisterhafter Zuhilfenahme ihres gigantischen Fächers, fuhr die edle Dame eine Woche später ins Mittelmeer ein, wo sie, wie immer mühelos und mit höchster Grazie, über den Hafen von Marseille ihre Wahlheimat erreichte.
»Ich gehe nie wieder«, gestand sie ihrem Liebhaber, Monsieur de Chasles, während sie ihr neues Haar kämmte, »zurück nach Kuba!«
»Was ist denn passiert?«, fragte der von ihr ausgehaltene Geliebte interessiert.
»Man hat mir einen Aufsteckkamm gestohlen.«
»Du wirst ihn einem glücklichen Verehrer geschenkt haben«, sagte Monsieur de Chasles, der ein eifersüchtiger Mann war oder zu sein vorgab.
Da machte die unartige Äffin ein paar zustimmende Gebärden, und bevor die Comtesse ihr einen Klaps geben konnte, flüchtete sie sich mit einem spitzen Schrei unter ihre weiten Röcke.
Kapitel 17 Das Zusammentreffen
Die Lichter im Haus der Gamboas waren gelöscht. Nur im Küchenherd züngelte an ein paar Scheiten ein Feuer, um das sich fast alle Sklaven drängten, die die wenigen Stunden von Mitternacht bis zum Morgengrauen zum Schlafen nutzten.
Wer das Haus von Weitem betrachtete, konnte glauben, dass alle, einschließlich der Dienerschaft, nach einem so bewegten Tag in tiefstem Schlummer versunken wären. Doch kaum hatten die Sklaven die großen Leuchter von der Decke herabgelassen und die Kerzen gelöscht, hatte in den Schlafzimmern fast sämtlicher Bewohner eine rege Geschäftigkeit angehoben.
Antonia, Adela und Carmen trippelten auf Zehenspitzen von ihren Alkoven zu den Balkonen, wo drei junge spanische Militärs ungeduldig, aber still auf sie warteten. Es entspann sich ein Gespräch, das sich, obschon voller Höflichkeitsbezeugungen, in Kichern und gedämpftem Wispern auflöste, unhörbar für der Rest der Familie.
Isabel für ihren Teil nutzte das Mondlicht (so an der Zimmerkerze sparend,
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