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Engelsberg

Engelsberg

Titel: Engelsberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinaldo Arenas
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Welt gekommen war – wutentbrannt Leonardo Gamboa hinterher.
    »Wer ist der nackte Mann!«, schrie Don Cándido immer lauter werdend. »Haltet diesen dreisten Kerl, diesen Verbrecher!«
    Was zur Folge hatte, dass alle Schwarzen, die in der Küche die Töpfe durchstöberten, dachten, sie wären gemeint, und unter höllischem Pfannengeschepper ebenfalls die Flucht ergriffen, doch nur bis zur Kutschenvorhalle kamen, wo sie im Gewühl der Leute stecken blieben. Und auch Don Pedro glaubte sich beim Schrei »Haltet den Verbrecher!« entdeckt und versuchte (er hatte schon die Hose heruntergelassen), durch die Vorhalle zu fliehen, gefolgt von der frisch angekommenen schwarzen Sklavin (die dies für ihre Pflicht hielt), und beide gesellten sich dem Getümmel hinzu, einem einzigen Tohuwabohu.
    Da griff Isabel Ilincheta, die auf ihren Vater eifersüchtig war wie auf einen heiß begehrten Geliebten, nach ihrer riesigen Peitsche und fing an, blindlings auf diesen unförmigen Menschenberg einzuschlagen, war es doch bei dem Durcheinander und der Dunkelheit sehr schwer, ins Schwarze (oder Weiße) zu treffen.
    Es wimmerten um Vergebung flehend die drei Töchter Don Cándidos, die sich vom Vater gestraft glaubten; es wimmerte und protestierte der Vater, der sich von Doña Rosa geschlagen glaubte; es wimmerte Doña Rosa, die sich von ihrem Ehemann entehrt und geschlagen glaubte; es stöhnten das diebische schwarze Küchengesinde sowie die Unschuld aus Afrika, die nicht den Grund der Schläge verstand und Don Pedro umarmte, der ebenfalls wimmerte und seine erzürnte Tochter um Erbarmen anflehte. Und es wimmerte, während sie mit der Peitsche um sich schlug, Isabel, die nie gedacht hätte, dass ihr Vater, ihr innigst geliebter Vater sie mit einer noch halbwilden Negerin betrügen würde … Da war es Doña Rosa, die inmitten der Schläge, von denen sie meinte, dass ihr Gatte sie austeilte, einen Satz sagen konnte:
    »Gamboa, der nackte Mann, der da weggerannt ist, ist dein Sohn Leonardo!«
    Worte, die anstatt Don Cándidos Wut zu besänftigen, sie noch weiter anheizten.
    »Mein Sohn! Mein Sohn!«, schrie er, während Isabel weiter unparteiisch ihre Peitschenhiebe niederregnen ließ. »Man muss ihn zurückholen! Los! Ruf ihn! Halte ihn auf! Nun lauf schon, oder hast du Blei in den Füßen! Alle Sklaven her zu mir! Weck die Dienerschaft auf! Lauf hin zu Cecilias Haus! Er will zu seiner Geliebten, seiner … Nein, nein, das darf nicht sein! Und sie ist allein im Haus! Das ist die Situation, die der Teufel beim Schopfe packt! Auch ich habe nicht aufgepasst! Ich hätte es ahnen müssen! Es verhindern müssen! Ja, etwas dagegen tun, aber was? Der soll mir nur unter die Augen kommen! Ich breche ihm das Genick! Ich schicke ihn auf ein Kriegsschiff! Lauft! Lauft! Man muss ihn festhalten, bevor es zu spät ist, wenn nicht, bringe ich ihn um … Du! Du bist schuld!«, fiel er jetzt über Doña Rosa her, die der Rede Sinn nicht verstand. »Du, so, wie du ihn erzogen hast!«
    In diesem Moment tauchte der Haushofmeister auf.
    »Señor«, sagte er, nahm zeremoniös seinen Palmhut ab und machte vor dem Menschenknäuel, in dem Don Cándido steckte, eine Verbeugung, »ich bringe schlechte Neuigkeiten: Die Engländer haben die Brigantine La Veloz gekapert und geleiten sie in den Hafen.«
    »Wie ist das möglich!«, riefen wie aus einem Munde Don Cándido, seine Gattin, seine drei Töchter, Don Pedro und Isabel aus, alle wie gelähmt von der Nachricht, die für die Familie einen empfindlichen Verlust bedeutete.
    Augenblicklich war die Schlacht vorbei. Die Damen und Herren brachten ihre Kleider in Ordnung, strichen sich das Haar glatt, gingen ins Speisezimmer, setzten sich und fingen an, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was zu tun sei, um wenigstens einen Teil der beschlagnahmten Ladung zurückzubekommen.
    »Diese Engländer! Diese Engländer!«, keifte Doña Rosa. »Man sieht ja, dass das keine Christen sind!«
    »Wenn wir diese Ladung Neger verlieren, ist das für die ganze Familie eine Katastrophe«, entschied Don Cándido.
    »Ach, Papa!«, rief das Fräulein Carmen aus.
    Und sank untröstlich weinend in Don Cándidos Schoß.
    »Es muss eine Lösung geben«, sagte Isabel Ilincheta mit klarem Kopf.
    »Das Erste ist«, knurrte Gamboa und schob sich den Hut tief ins Gesicht, »zum Generalkapitän zu gehen. Er ist selber Negerhändler und muss auf unserer Seite sein.«
    Und rasch trat Cándido Gamboa einmal mehr wütend auf die Straße, vergaß

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