Engelsberg
hinzugesellten.
Endlich war es Isabel Ilincheta, die auf ihr Brustchronometer sah und ausrief: »Fünf Uhr! Wir werden doch nicht wegen der Neger die Comtesse verpassen!«
Und aufs Neue setzte sich das Gefolge – trotz des lautstarken Protests Carmen Gamboas – in Marsch.
Kapitel 16 Der Paseo del Prado
Bei der Ankunft der Señoritas Gamboa und ihrer Begleiter auf dem Paseo del Prado fand sich dort bereits die gesamte Gesellschaft von Havanna versammelt, stellte sich in ihren Kutschen zur Schau und wartete ab. Der Auftritt der berühmten Comtesse stand noch aus.
Der Paseo del Prado – eine minderwertige Kopie des in Madrid beheimateten Originals – bestand aus einem breiten, von klotzigen Bäumen gesäumten Fahrweg für die Parade der Kutschen in der Mitte und zwei schmaleren Straßen an den Seiten, auf denen die Fußgänger flanierten. Leute niederer Stände, aber Weiße.
An beiden Enden der Allee, das heißt, an dem Graben, hinter dem der Botanische Garten begann, und dem Löwenbrunnen nahe dem Meer, hatte der Dragonerleutnant seine Soldaten postiert, um den Verkehr zu regeln und um zu verhindern, dass gerast wurde. Waren doch Reiter und Kutscher, kaum kamen sie auf den Prado, nicht mehr zu bremsen. Damit sich indes jeder auf die Allee wagen konnte, sorgte der Dragonerleutnant für Ordnung gemäß dem Befehl des Generalkapitäns.
Bei der Unmenge vorbeifahrender Fahrzeuge konnten Don Cándidos Töchter kokett alle ihre Freunde grüßen, die mit den verschiedensten Transportmitteln unterwegs waren, selbst die Kavaliere zu Fuß auf den Nebenwegen, fast alles Spanier, beschäftigt in der öffentlichen Verwaltung und anderen wenig bedeutsamen Ämtern.
Die Herren in offenen Tilburys oder auf prächtigen Rossen, die meisten von ihnen gekleidet in eng sitzender Hose, Mannsrock und langen Seidenstrümpfen, die es ihnen erlaubten, ihre Beine zur Geltung zu bringen, auf dem Kopf ein unablässig gegen die Baumzweige stoßender Zylinderhut, machten sich die langsame Gangart zunutze, um vielversprechende Gespräche mit den Damen anzuknüpfen, die in der komplizierten und subtilen Sprache ihres Fächers mit einem Schwenk mal so, mal so wissen ließen, ob sie den Schmeicheleien des Galans Gehör schenkten oder nicht.
Die Grafen Santa Clara, der Marquis de Lombillo, die Herzöge de Valla Alta, die Enkel der alten Marquise Pérez-Crespo, die Arcos’, die Games’ und zahlreiche weitere junge Männer konversierten mit den Töchtern der Gamboas, die unablässig ihre Fächer in alle Richtungen bewegten und sie dabei zuweilen Isabel Ilincheta ins Gesicht schlugen, was diese mit ihrem bekannten Sinn fürs Praktische nutzte, indem sie die Wirkung der Schläge als Schamesröte angesichts der mehr oder weniger liebenswürdigen Worte Leonardos ausgab.
Den Kavalieren folgte ein Schwarm schwarzer Sklaven, deren Aufgabe es war, den Hut oder irgendwelche anderen Utensilien ihres Herrn aufzuheben, falls diese auf die Erde fielen.
Plötzlich trat in dieser ganzen, seit mehreren Stunden unter der weiß glühenden Nachmittagssonne hin und her wogenden Menschenmenge absolute Stille ein. Durch das Stadttor La Punta rollte ein prunkvoller Tilbury mit dem Wappen der Montalvos. Nun war auch die Señora María de las Mercedes de Santa Cruz, Comtesse Merlin, auf dem Prado.
Womöglich wegen der ungeheuren Ausmaße des Rocks der Comtesse fuhr keine weitere Person in der Kutsche mit. Außer dem riesigen Rock, der bisweilen, wenn der Wind ihn bauschte, sowohl den Kutscher als auch das Pferd unter sich begrub, trug die Comtesse goldbetresste, glitzernde Filzpantöffelchen, ein eng tailliertes Jäckchen mit Ärmeln wie Kirchenglocken, sowie lange violette, blaue und rote Bänder, die, losgerissen von ihrem Hals, in alle Winde wehten. Glanz und Farbe verschiedener Halsketten hoben die Weiße der noch schwellenden Brüste hervor, von denen die geschickliche Comtesse graziös den weiten Umhang hinabgleiten ließ, sie so fast völlig entblößend. Der Kopf war bedeckt von einem unermesslichen Hut mit einer turmhohen Kuppel und einer noch gewaltigeren Krempe. Doch so überwältigend sowohl ihre Gestalt als auch ihre Kleider und Juwelen waren, wurden sie noch übertroffen von ihrem unvergleichlichen, atemberaubenden schwarzen Haar, das sich, unter dem großen Hut hervorquellend, in breiten Kaskaden über ihre Schultern ergoss und den ganzen hinteren Teil der Kutsche zudeckte. Inmitten dieser unerhörten Haarpracht funkelte ein diamantenbesetzter
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