Engelsblut
dachte Martinus Greifenthal gerührt. Das konnte nur bedeuten, dass Gott Großes mit ihm vorhatte.
Das Große aber liebte Pfarrer Greifenthal. Begierig griff er nach dem Blatt, das Samuel ihm zuschob, und wollte das Beglückende seiner Reden in fremdem Abbild sehen.
Als er jedoch auf das fertige Bild schaute, da erstarrte, erzitterte, gefror er. Pfarrer Greifenthal erblickte das Schlimmste und Hässlichste, das er je gesehen hatte, etwas, wovon er niemals zu sprechen gewagt hätte. Alle blutigen Geschichten von heiligen Märtyrern, alle schauerlichen Legenden von des Teufels glühender Hölle waren zahm im Vergleich zu dem, was er hier betrachten musste.
Auf dem Bild war Felicitas dargestellt, mit gespreizten, verrenkten Schenkeln, mit zähem, schwarzem Blut, mit verirrtem Blick. Es waren ihre Schmerzen wiedergegeben, ihr Hass und ihre Hilflosigkeit. Es waren ihr qualvoller Tod, ihre Einsamkeit und ihre Leere. Es war schließlich zu sehen, wie sie sich daran vergeudete, daran erstickte und sich daran totschrie.
Pfarrer Greifenthal wandte sich würgend ab, ließ das Bild fallen, konnte es aber nicht aus seinem Blick bekommen. Er war ihm ausgeliefert und wurde von ihm verurteilt; es fraß sich in sein Gemüt und spuckte seine Erinnerung aus.
Der Pfarrer sah das Bild und erkannte zugleich, wie er vor der toten Felicitas stand und ihr ein kirchliches Begräbnis verweigerte. Das Bild war sein Gericht.
»Mein Gott!«, stöhnte er. »Mein Gott, warum hast du das getan?«
Er bebte, weinte, schrie.
»Aber ich habe doch nur ein Engelchen gemalt«, murmelte Samuel verwirrt.
Pfarrer Greifenthal schnappte nach Luft. Nie hatte er geglaubt, dass jemand so akkurat und meisterhaft malen könne – und so schrecklich.
»In der Nacht, bevor Felicitas starb«, versuchte Samuel zu erklären, »da hat sie mich ihr Engelchen fühlen lassen. Es hat in ihrem Leib gewohnt. Aber am nächsten Tag hat das Engelchen geblutet.«
»Mein Gott!«, wiederholte Martinus von Greifenthal, er musste husten, schluckte und hustete wieder. Mühsam versuchte er zu verstehen, was der Knabe meinte und woran er sich erinnerte, als der Pfarrer ihm von Engeln erzählte. »Was hast du getan?«, schrie er. »Was hast du nur getan? Du darfst dich nicht an Engeln vergreifen! Die Hure Felicitas ist direkt zum Tor der Hölle gewandert, wo sie beim Teufel hockt. Wag nicht noch einmal, sie so zu malen!«
»Aber wie sehen Engel aus, die ich malen sollte?«, warf Samuel störrisch ein und begriff des Pfarrers Entsetzen nicht.
»Die Seraphim und Cherubim sind die schönsten Wesen, die man sich vorstellen kann. Ihre Seelen sind gläsern, ihre Herzen rein. Nichts Hässliches haben Engel an sich, nichts Verderbtes, nichts Schmutziges!«
Der Pfarrer brüllte Samuel an. Anstatt sich zu fügen, begehrte der Knabe auf. Mit gleichem Ärger, wie Hochwürden auf ihn einschimpfte, richtete er sich auf, trotzte ihm und fragte ungeduldig ein zweites Mal: »Aber wie sehen Engel aus, die ich malen sollte?«
Pfarrer Greifenthal geriet ins Stottern, hörte jedoch nicht auf zu reden.
»Ihr Haar ist golden«, erklärte er hastig, »ihre Haut alabastern, ihre Wangen sind rosig. Ihre Tränen gleichen einem kostbaren Nass, das zu Diamanten gefriert, wenn sie zu Boden fallen. Das Echo ihres Lachens ist wie die Brise eines sonnendurchfluteten Windes.«
Der Geistliche begann zu schwitzen, doch sein Gesicht war jetzt nicht mehr welk vom Schrecken über Felicitas’ Bild, sondern blühte in gewohnter Ergriffenheit sachte auf.
»Aber wie sehen Engel aus, die ich malen sollte?«, begehrte Samuel ein drittes Mal zu wissen, denn die Erklärungen war ihm nicht genug. Die Worte gerieten ihm nicht zu Bildern.
»Gütiger Himmel!«, stieß der Pfarrer aus und wurde ungeduldig, weil der Knabe ihm nicht in seine geschmeidigen Schilderungen folgen wollte. »Wie soll ich dir Engel beschreiben können, wenn ihr Wesen doch übermenschlich ist. Denk darüber nach, wie Menschen sind, und nimm das Gegenteil von Engeln an. Wer engelgleich leben will, muss allem entsagen, was dem Menschen teuer ist. Engel essen und trinken nicht. Engel streben nicht nach Besitz. Engel sind einander nicht Mann und Frau, denn sie vermehren sich nicht, sondern fließen aus Gottes Atem. Engel sind unberührbar und lassen sich niemals ertasten, weder von ihresgleichen noch von den Menschen. So ist es Gesetz – seit allen Zeiten und Äonen.«
Endlich schwieg Samuel – und der Pfarrer begriff es als Zustimmung und rang dem
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