Engelsblut
fragte Samuel. »Oder doch nicht viel mehr aus meiner?«
Und er hob diese Hand, spitzte den Zeigefinger und berührte damit Ludovicus Rottermanns Gesicht. Sorgsam folgte er den Konturen seiner Züge, die er in gleicher Weise zuvor auf das Papier aufgetragen hatte, und stupste ihm schließlich auf die Nase.
Da heulte der Alte auf, schlug Samuels Hand beiseite und hieb auf das Bildnis ein.
»Du kleine Satansbrut!«, zischte er.
Samuel bot ihm sein Gesicht dar, aber anstatt es gleichfalls zu berühren, zuckte Ludovicus Rottermann zurück.
»Du Satansbrut!«, wiederholte er erbost. »Sei verflucht für diese Anmaßung!«
Heulend ging ihm auf, dass der Knabe ihn blind gemacht hatte. Von jetzt ab wollte er nur mehr der Menschen Farben sehen, sonst keine. Er würde mit gesenktem Kopf durch die Welt gehen; er würde sie nur mehr als grau erblicken, er würde sich von Gott nicht mehr bestechen lassen.
Dies hatte ihm Samuel angetan, und während der Knabe nicht begreifen konnte, was den Alten so sehr daran erboste, ging jener grußlos von ihm, um ihm niemals zu verzeihen.
Es gingen Jahre ins Land, da Samuel seine Kunst verfeinerte. Heimlich war Marie seine Mittlerin, die ihn mit der notwendigen Gerätschaft ausstattete. Er hatte es mühsam gelernt, Farben zu machen, und nun experimentierte er so lange, bis er den Aufbau eines Gemäldes gekonnt beherrschte. Er stellte Bildträger aus Holztafeln, Flachs und Fischgrätenkörpern auf, streckte sie mit einem Keilrahmen, isolierte sie mit Fischleim, Eiklar oder Gipspulver. Er versuchte, die Imprimatura unterschiedlich einzufärben, um zu sehen, wie dieses sich auf die Farben auswirkte, die Schicht um Schicht folgten. Er lernte die Lasurentechnik aus Zufall, als er ungeduldig mehrere Farbtöne übereinander auftrug und gewahrte, wie sie sich dadurch veränderten, tiefer, leuchtender, glänzender wurden. Kollektionen an Pinseln beschaffte er sich – aus den Federkielen von Gänsen, Hühnern und Tauben, aus den Stacheln von Schweinen, den Haaren von Iltisschwänzen, Fischottern und Rehen. Zuletzt erprobte er sich in der Bereitung des Firnis, der das Gemälde abdeckte und vor dem Zerfall schützte. Er arbeitete mit dem Harz der Tanne, mit Leinöl und Branntwein, mit Kandiszucker, Honig und Rosenwasser.
In den Ferienzeiten half ihm dabei sein Vetter Andreas von Hagenstein, der beobachtete, Botengänge erledigte, Zutaten beschaffte. Dabei erwies er sich als anspruchslos. Er fand seine Freude darin, Samuel stumm zuzusehen und dann und wann den Anschein zu erwecken, als wolle er den Arm um ihn legen.
Spöttisch und lästernd wie früher beobachtete der Graf die Besuche des Vetters. Samuel stellte er deswegen nie zur Rede, denn mit dem absonderlichen Stiefsohn mochte er nichts zu schaffen haben. Andreas aber verhöhnte er, als er ihn eines Tages aus Samuels Kammer schleichen sah.
»Sieh an, sieh an!«, grinste er. »Der Sohn unserer Base Elsbeth von Hagenstein! Weiß sie, wo du dich herumtreibst? Weiß sie, dass deine Augen gierig und gegen alle Sitten Samuel abtasten?«
Andreas duckte sich beschämt.
»Wie man hört, ist nicht viel Rechtes an dir!«, kreischte der Graf. »Man sagte dir schon in der Kindheit nach, dass du dich kleidest wie ein Mädchen! Kannst du reiten und kämpfen wie ein Mann?«
Andreas senkte den Kopf so tief, dass es schien, als würde er sich vor dem Graf verbeugen. Ein raues Schluchzen entstieg seiner Kehle. Mit letzter Kraft trotzte er dem Grafen – nicht aus eigenem Vermögen, sondern mit einem Bild von Samuel, das jener von seinem Stiefvater gemalt hatte.
Es war nur eine nachlässige Skizze zu Übungszwecken – aber es zeigte, wie Graf Altenbach zufrieden über dem Sack Geld hockte, der Monat für Monat vom Domherrn an ihn überbracht wurde.
»Meine Liebe zu Samuel mag gegen alle Sitten sein«, stotterte Andreas, »aber es entspricht der Menschen Ordnung ebenso wenig, wenn Ihr Geld für Eure Ehe nehmt!«
Der Graf vergaß, Andreas zu verhöhnen, erschauderte wie einst und wollte erbost nach dem Bilde greifen. Es gelang ihm nicht. Er war unfähig, das Papier zu zerreißen. Obwohl er es als beschämend und schrecklich empfand, sich selbst auf diese Weise dargestellt zu sehen, fühlte er ein inneres Verbot, sich an dem Bild zu vergreifen. So akkurat konnte ihn nur ein meisterhafter Maler zeigen.
Als Andreas fort war, stellte der Graf Samuel zur Rede, herrschte ihn an, warum er immer noch malte, obwohl er es ihm verboten habe. Nie wieder solle er es
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