Engelsblut
wagen, sich an seinem Antlitz zu vergreifen und es auf Papier festzuhalten. Nie wieder solle er seinem Talent frönen, mochte es auch noch so groß sein! Drohend hob er die Fäuste, indessen Samuel kühl an ihm vorbei blickte.
Vom Lärm angelockt kam Marie, stellte sich schützend vor den Sohn und tat kund, dass sie sich von ihm jenes Maß an Richtigkeit ihres Lebens erhoffte, das Felicitas’ Tod nur halb gekittet hatte.
Ebenso bekannte sie, Samuel einen Lehrer und Farben verschafft zu haben.
»Das durftest du nicht tun!«, knurrte der Graf. »Er malt zu gut, als dass du sein Bild ertragen könntest!«
»Wag es nicht, meinen Sohn zu verachten!«, gab sie nicht minder laut zurück. »Wag es nicht, so zu tun, als sei er ein Bastard!«
»Aber er ist ein Bastard!«, schrie er und stürzte sich tief hinein in das Verschwiegene, wovon seit Felicitas’ Tod keiner jemals leichtfertig geplappert hatte. »Dein priesterlicher Oheim hat ihn dir aus Geilheit in den Schoß gepflanzt, und dann hat er zugesehen, dass er dich und deine Brut loswird! Stell dich nicht an seine Seite, sondern sieh zu, dass du nichts mit ihm gemein hast! Sei mir ein stilles Weib, und du wirst in Frieden leben! Niemals aber wirst du als seine Mutter Achtbarkeit erlangen!«
Marie erstarrte. Sie blickte in des Grafen Gesicht, aber sie sah den Domherrn vor sich, wie er an ihr seinen Appetit anregte und sättigte, wie seine Zunge ihren Körper erschmeckte und seine Zähne sanft an ihren Brüsten knabberten.
Erbleichend suchte sie Schutz bei Samuel, der ihren Streit stumm und gleichgültig beobachtet hatte, streichelte über seinen Kopf, verlangte wie stets, er möge ihr Sohn sein, auf dass sie als seine Mutter nicht länger eine war, die man verraten hatte, er möge beweisen, dass er ihr erlogenes Glück zusammenhielt, anstatt es zu zerstören.
»Fass mich nicht an!«, begehrte der Sohn auf wie stets.
»Siehst du!«, höhnte der Graf. »Das ist es, was du von diesem Bastard erwarten kannst!«
Hilflos blickte Marie von einem zum anderen.
»Du darfst ihn nicht Bastard nennen! Der Domherr hat mich nicht verraten!«, rief sie weinerlich. Dann widersetzte sie sich dem strikten Verbot des Grafen. »Samuel wird mich malen – und wenn er mich gemalt hat, bin ich seine Mutter!«
Noch am gleichen Tag begann Samuel, an Maries Bild zu malen, und er arbeitete viele Monate daran, ohne es ihr je zu zeigen. Bis dies geschah, verging ein ganzes Jahr, und als es vorüber war – es war in der Zeit, da Kaiser Franz Joseph die bayerische Elisabeth ehelichte -, da ging sein ältester Stiefbruder daran, sich zu vermählen. Die Braut hieß Veronika, war die altjüngferliche Tochter vom Nachbargut und schien bislang von den Freiern vergessen worden zu sein.
Es war Spätherbst, da man die Trauung angesetzt hatte, die Sonne blendete nicht mehr, und das Laub raschelte auf dem Boden, nicht mehr an den Bäumen. Die Braut war schüchtern, der Bräutigam verlegen, der Graf zufrieden. Hübsch war Veronika nicht, blutjung noch weniger, aber zumindest mit einer guten Mitgift ausgestattet.
Marie hockte während der Trauung zwischen Mann und Sohn, wie auch später bei der Festtagstafel, gab sich wohlerzogen stumm wie immer und spielte die vornehme, fein gekleidete Frau des vornehmen, fein gekleideten Grafen.
Samuel selbst wusste mit dem Menschengetümmel nichts anzufangen. Er hörte Spaße, deren Sinn er nicht erriet, saß bei Tisch, ohne etwas zu essen, hoffte, bald wieder fliehen zu können, um zu malen. Doch ehe er lautlos verschwinden konnte, trug sich bei dieser Hochzeit zu, wovon die Leute noch Jahre später sprachen: ein Skandal, der größer nicht hätte sein können in einer Gegend, wo sich zum einen alle kannten und zum anderen keiner jemals etwas vergaß.
Milde Stunden mit Gelächter waren verstrichen, in denen die Gräfin Marie wortlos an der Seite ihres Gatten ausharrte. Unmerklich nippte sie an ihrem Weinglas, zuerst aus Höflichkeit, zu späterer Stunde aus Gewohnheit. Sie trank nicht viel, nur Schluck um Schluck. Die vielen kleinen Schlucke aber reihten sich zur Menge, die heiß in ihre Adern stieg.
Sie fühlte sich benommen und hörte nur mehr weit entfernt die Stimme ihres Mannes. Graf Maximilian hatte sich zur Hochzeitsrede erhoben, lobte seinen ältesten Sohn und sein tüchtigbraves Weib, von dem nur Bestes zu erwarten sei, sprach lange über die Pläne, die er mit seinem zweiten Sohn hatte, und ließ Samuels Namen gänzlich aus.
Im hinteren Teil des
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