Engelsblut
ihm vertraut und störte ihn nicht, aber ebenso wenig konnte er trösten. Er war in nichts anderem gut als im Vorhandensein und im Bewundern.
»Du bist der Größte«, stellte Andreas fest. »Du bist der Größte unter allen Malern, denn du malst die Menschen, wie sie sind.«
Langsam neigte er sich vor und versuchte, Samuels Arm zu fassen, aber jener trat zurück.
»Wie können sie es stets aufs Neue wagen, meine Bilder zu verschmähen?«, stieß er hervor, und seine Stimme klang kühl. »Wie können sie es wagen, mich zu verachten?«
Zitternd starrte er auf den Boden, als wolle er die Welt strafen, indem er an ihr vorbeiblickte und sie solcherart ignorierte.
»Ich verachte dich nicht!«, rief Andreas bestürzt. »Und es gibt gewiss viele, die deine Bilder gleichfalls begehren!«
Samuel sah nicht hoch.
»Was nutzt es mir!«, zischte er. »Die Menschen sind nichts weiter als Lügner, Heuchler und Feiglinge, die sich gegen die Wahrheit blind stellen!«
Andreas drängte sich zu ihm, um – wenn schon nicht Samuels Blick – so doch seine Nähe für sich zu erobern.
»Aber deine Bilder sind zu groß und zu stark, als dass man sich ihnen gegenüber blind stellen könnte!«, beeilte er sich zu beteuern.
Unwirsch rückte Samuel von ihm ab. »Sie lassen mich alleine und stoßen mich fort – jeder Einzelne von diesem Pack!«, fauchte er verbittert. »Auf Base Elsbeths Fest hat man mich beschimpft, als ich das Fräulein malte! Ludovicus Rottermann hat mich verflucht, kaum dass er meine Farben erblickte! Und nun flieht meine Mutter in den Irrsinn, um nicht zuzugeben, meine Mutter zu sein! Aber ich werde es nicht zulassen, dass man mich derart zurückstößt! Ich will die Menschen nicht mehr malen, wie sie sind, wenn dies der Dank sein soll!«
Andreas begriff nicht, was Samuel meinte, aber er erschrak ob des unerbittlichen Tones.
»Aber was willst du denn sonst malen?«, fragte er verstört. »Und du musst malen, Samuel, du musst! Du darfst nicht damit aufhören, denn das ist alles, was du bist!«
Samuel schwieg lange.
»Es mag vollkommenere Geschöpfe als die Menschen geben, lieblichere, freundlichere«, brachte er schließlich leise hervor. »Es mag sich lohnen, nach deren innerstem Wesen zu forschen, sie in aller Wahrhaftigkeit zu malen, sie für immer und ewig auf der Leinwand festzuhalten. Ich spreche von Gottes Boten, den heiligen Heerscharen; ich spreche von Engeln...«
Kaum merklich wurden seine Augen feucht. Er weinte zum ersten Mal in seinem Leben, und erst als die Tränen seinen Mund erreichten und er das salzige Wasser schmeckte, fuhr er fort.
»Als ich das erste Mal von Engeln hörte, habe ich Felicitas gemalt«, flüsterte er. »Doch der Pfarrer belehrte mich, dass nichts, was Zeugnis gebe von der Menschen bösen Welt, ins Wesen der Engel dringen und es beflecken dürfe. Der Engel Wesen nämlich sei übermenschlich. Sie tragen keinen Makel, sondern sind vollendet in allem, was sie fühlen und denken und tun. Sie sind kostbarste Gestalten, die flügelschlagend zwischen den Welten hausen.«
Seufzend hob er seinen Blick, starrte Andreas an und doch an ihm vorbei.
»Was soll ich Menschen begaffen und mich von ihrem Anblick verletzen lassen, wenn sie doch treulos und wankelmütig sind und ihre Fratzen andauernd Lügen ausspucken?«, presste er hervor. »Was soll ich mich an denen vergreifen, die mich für meine Malerei verachten, wenn es doch Wesen gibt, die sich auf immer und ewig, bis in alle Gezeiten und Äonen von der verdammten Brut unterscheiden?«
Andreas lauschte ergeben, verschreckt von den harten Worten, aber versöhnt von Samuels Blick, der nicht von ihm ließ.
»Ich werde für die Menschen blind sein und stattdessen Engel malen!«, erklärte Samuel entschlossen. »Mag es auch sein, dass ich noch nicht genug davon verstehe. Aber ich werde es lernen, und es wird mir gelingen, und eines Tages werde ich einen Engel malen, der so schön, so einnehmend und so makellos ist, dass niemand es wagen wird, mein Bild zu verschmähen! Niemand wird mich beschimpfen, schlagen und verraten, weil ich es malte! Alle Welt wird es betrachten, und alle Welt wird vor Erregung beben, weinen und schreien! Dies ist mein Trachten – von jetzt an bis zur Stunde meines Todes! «
Samuels Worte rissen ab. Sie hatten ihn erhitzt, so dass er nicht länger fror. Von seiner Wärme angelockt, näherte sich Andreas ihm erneut, neigte sich diesmal vor, ihn zu ergreifen und zu berühren und zu liebkosen. Warm hauchte er dem
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