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Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kroehn
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gleichgültig. Sie war ans Essen der Armen gewöhnt, das mit dem Salz der Armen gewürzt war – Krassmehl, ein herbes Pulver, aus Fichten- und Tannennadeln zusammengestampft.
    Neben Lena stand ihre ältere Schwester Grete. Jene war nicht verdorrt, sondern fruchtbar. Es ging der Verdacht, dass sie schon einmal geboren und hernach das Neugeborene im Misthaufen verschwinden lassen habe, doch nachweisen konnte man ihr den Kindsmord nicht. Grete war in solchen Sachen berechnend und in anderen dumm. Eben schäkerte sie mit einem Knecht, der schwitzte und stank und für die Schufterei lebte, und doch hoffte sie zugleich, dass dereinst einer kommen würde, der nicht stank, nicht schwitzte und nicht für die Schufterei lebte. Sie hoffte auf einen Bauern, welcher – seit dem Erlass von Kaiser Josef II. – nicht mehr dem Grundherrn, sondern dem Schutze des Staates unterstand, was gleichsam hieß, dass er frei sei.
    Bis dahin musste Grete verbrannte Erdäpfel essen wie ihre Schwester.
    Während sie aß und während sie schäkerte, blickte sie auf, stieß Lena an und raunte ihr zu: »Da schau, dort steht der Samuel, des Grafen Sohn – siehst du ihn?«
    Lena hatte vom absonderlichen Grafensohn gehört. Er sei schön und sauber und ginge keiner rechten Arbeit nach, käme schweigend dann und wann in den Hof, hätte früher die Menschen aufs Papier gebannt – jetzt aber nicht mehr, und keiner wüsste warum. Gesehen hatte sie ihn jedoch noch nie. Lena beglotzte kalbende Kühe und gebärende Frauen – sonst sah sie nicht weiter als bis zu den Füßen der Menschen.
    »Sieh ihn dir an!«, kreischte Grete, und sie packte Lena am Arm, während diese ihre Erdäpfel hinunterwürgte. »Sieh ihn dir an, wie er dort steht und sonst nichts Rechtes tut in seinem Leben!«
    »Er tut doch was«, sagte Lena, ohne hoch- und hinzulugen. »Er malt.«
    »Eben nicht!«, schrie Grete. »Seit der Hochzeit seines Bruders hat er damit aufgehört und sucht unsereins nicht mehr heim. Ich frag mich, warum er heute da steht. Hat wohl Papier und Kohlestift in seinen Händen. Will’s nur nicht gebrauchen. Seltsamer Geselle. Mir wär’s lieber, er hätte das Malen verlernt, als dass er kommt und mit unserem Elend spielt.«
    Grete war verbittert. Dem würdigen Grafen Maximilian von Altenbach-Wolfsberg mochte man nachsehen, dass er andere Leute für sich schuften ließ und ihnen nichts Besseres zu essen gab als bittere Erdäpfel. Graf war Graf, da gab’s nichts zu rütteln, so will es Gott, und weil Gott es will, ist es gut. Samuel aber war im Kuhmist geboren wie sie selbst. Davon erzählte man sich in gleicher Weise, wie man von Lenas Geburt sprach.
    »In Wahrheit ist er doch nichts weiter als ein Bastard!«, hieb Grete auf ihn ein und schlug Lena unwirsch auf den Buckel, auf dass jene Samuel angaffen und das ungerechte Leben beklagen möge.
    Lena dachte nicht daran zu gaffen. Sie aß und würgte. Sie hörte kaum auf die Schwester, die von Samuels pechschwarzem Haar erzählte, das ihm bis zu den Schultern hing, von der Abendsonne, die ihn besprenkelte, von seinem spitzen, ungesunden Gesicht, von den glänzenden, weißen Kniestrümpfen, dem gerüschten Hemd, der blauen Jacke, den silbrigen Schnallenschuhen.
    Jetzt hörte Lena auf zu kauen. Die Füße anderer Menschen sah sie wegen des Buckels immerzu – Schuhwerk aber hatte sie noch nie gesehen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass jemand keine Füße hatte, sondern an ihrer Stelle silbrige Schnallenschuhe. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie man damit ginge.
    Da ließ sie den verkohlten Erdapfel fallen, wandte sich von Grete weg und stapfte auf Samuel zu, als stehe es ihr selbstverständlich zu, sich ihm zu nähern. Sie ließ sich nicht zurückhalten, sondern kroch so dicht an ihn heran, dass sie die Schnallenschuhe sehen konnte.
    Sie waren sauber.
    Lena glotzte.
    Sie hatte noch nie Schuhe gesehen, und noch weniger hatte sie etwas gesehen, das sauber war. Sie kniete sich nieder, die sauberen Schuhe zu betasten. Sie hockte vor Samuel und umkrallte sie mit ihren schwarzen, dreckigen Händen.
    »He!«, schrie Samuel, fühlte ihre Berührung und trat angewidert zurück.
    Lena kroch ihm nach und wollte wissen, was saubere Schuhe waren. Sie neigte sich noch tiefer, küsste sie, schleckte sie ab und dachte sich, dass saubere Schuhe wunderschön seien. Als sie nass geweint waren, trocknete sie sie mit ihren Haaren ab.
    »He!«, schrie Samuel noch einmal. Es überkam ihn Angst vor dem verkrümmten Weib, das da

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