Engelsblut
dass es nicht moralisch wäre, mit Blut zu malen«, setzte er an und ließ sich nicht unterbrechen, ehe er selbst den letzten Satz seiner Rede setzte. »Was wollen wir auf Gelächter geben? Was wollen wir auf Moral geben? Was ist das überhaupt – Moral?
Sie ist das Erste, was man verkauft, wenn man hungert und friert. Man verkauft sie – aber bekommt nichts dafür. Niemand will etwas für Moral bezahlen. Selbst die Pfaffen sind nichts als Auktionare, die ihren Wert nur in die Höhe schrauben, auf dass andere die Ausgaben leisten und sie reich machen mögen. Moral zählt nichts! Es zählt, welcher Mensch taugt, Samuel sein Blut zu geben, und welcher nicht. Dich und dich und dich – nein, euch alle mag ich nicht recht für diese Aufgabe würdig erachten. Ich kann mir nicht denken, warum er gerade euer Blut mit Farben mischen und damit Gottes Engel malen sollte! Wenige Auserwählte nur mögen ihm dienen, welche weitsichtig erahnen, dass man noch in hundert Jahren vor solchen Bildern niedersinken wird, welche laut beklagen, dass das himmlische Eden so weit entfernt ist vom miefigen Gestank unserer Leiber, die alles zu tun bereit sind, die Grenzen der Welt zu überwinden. Einer erlesenen Schar nur sei es zuerkannt, am wunderbaren Werk des Samuel Alt Anteil zu nehmen, ihren kostbaren Lebenssaft mit Farben zu mischen, zur Erhabenheit der Gemälde beizutragen und einen Funken ihrer Ewigkeit mitzubesiegeln. Arme Tölpel, wenn ihr mir nicht glauben wollt! Euer Misstrauen und Vorurteil schließt euch von dem Großen aus und macht euch zu mickrigen Gestalten, die’s nicht verdienen, in der Nähe von Engeln zu weilen. Gläubig, hingebungsvoll und willig müsstet ihr sein! Feingliedrig, vornehm und gewandt! Liebreizend, makellos und formvollendet! Doch wenn ich in eure eitlen Mienen starre, wenn ich betrachte, wie ihr abschätzend eure Mundwinkel nach unten zerrt, wenn ich gewahre, dass euch das äußere Gehabe mehr wert ist als die hohe Kunst – so muss ich euch sagen: Ihr taugt nicht. Allesamt taugt ihr nicht!«
Er schloss abrupt, ohne das Ende seiner Rede anzukündigen. Erst mit dem letzten Wort sank seine Stimme. Zuvor hatte er keinen Augenblick gezögert, Satz an Satz zu reihen, den Blick fest auf alle Beteiligten zu richten, wohldosiert die Hände zu bewegen, aufrecht auf- und abzuschreiten.
Nun schwieg er. Er erklärte sich nicht. Mit keinem Zusatz wünschte er zu deuten, was er mit seiner Rede bezweckte. Sie allein gab ihm Recht.
Unruhig warfen sich Lena und Andreas Blicke zu, während Samuel sich vor dem duckte, was kommen möge – und tatsächlich regten sich erneut verärgerte Stimmen.
»Willst du dich als einer entlarven, Doktor Grothusen, dem man bei Geburt den Irrsinn ins Hirn geträufelt hat?«
»Ich dachte, du würdest uns verstehen – und plötzlich stößt du diesen Schwachsinn aus?«
»Wär besser, du würdest dich zum Teufel scheren mit denen, die du brachtest!«
»Und du willst ein Kunsthändler sein, dem man die Ware aus der Tasche zieht?«
Simon Grothusen rührte sich nicht. Nach der Rede war er geschrumpft, ohne dass er sich wieder aufrichtete. Erst als die Worte und Beschimpfungen zügelloser wurden, begann er plötzlich laut und unbeherrscht zu lachen. Er lachte so sehr, dass sein Leib sich in der Mitte krümmte und sein Gesicht beinahe den Boden berührte. Er lachte kreischend und ausdauernd – und er lachte, bis seine Augen Tränen sprühten und sein Mund Speichel spuckte.
Keiner lachte mit ihm. Samuel sank in seiner Ecke in sich zusammen, während Lena den Doktor scharf musterte, ohne seiner Herr zu werden.
Erst als das Lachen peinlich wurde, ließ Grothusen es verebben, richtete sich wieder auf und wischte sich die Augen trocken.
»Ihr wollt mir doch nicht weismachen, dass ihr mich ernst genommen habt!«, sagte er und hatte seine Stimme wieder im Griff. »Aber so – so könnte es doch gehen! Nicht gleich ... nicht jetzt und hier ... aber wenn Samuels Name erst einmal bekannt ist, wär’s am leichtesten für ihn zu werben, indem man die Menschheit teilt – in jene, die rechtes Blut haben, und in jene, welche ausgeschlossen sind ...«
Er lachte weiter, obgleich nicht mehr hemmungslos, hob dann zum ersten Mal in dieser Nacht einen Humpen Bier und zeigte sich als einer, der nicht nur rauchte, sondern auch aß und trank. Das »Prost!«, das er ausstieß, klang mitreißend, und endlich stimmte fremdes Gelächter ein, Stimmen summten wieder von allen Seiten, und man hörte auf, sich
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