Engelsblut
über Pinselführung und Farbmischung zu diskutieren.
Wie man im Österreichischen malen würde, war einer begierig zu wissen. Ein anderer gab zu, dass es interessant sein möge, irdische und himmlische Gestalten so gekonnt in einem Bild zu verweben. Von vielen war Skepsis zu hören, ob denn einer wie Samuel Alt Platz finden möge in einer Welt wie Cronberg – denn seine Art der Bilder und seine Art zu malen wollte nicht in den engsten Kreis passen. Doch am Ende war man sich einig, dass gerade hier der seltsame Kauz nicht auffallen mochte, der ihnen so unerwartet zugeflogen war.
Die erste Woche ging vorüber, und an deren Ende hatte man sich an Samuels Gesicht gewöhnt und daran, dass Lena und Andreas ihm lautlos folgten. An einem der nächsten Abende war Doktor Simon Grothusen erneut Gast. Diesmal rauchte er jedoch nicht zurückhaltend an seiner Zigarre wie in vergangenen nächtlichen Stunden, da er das Künstlervolk mit seiner Gegenwart beehrt hatte, sondern erwies sich als fordernd laut und redselig.
Zunächst wartete er, wie das schrille, bunte, fahrige Treiben auf- und abflaute und die Töchter des Wirts kreischend und lachend durch die Reihen schritten, um mal hier, mal dort zu schäkern und Küsse zu verteilen. Dann, als man den Tanz aufgab und das Lachen müde wurde, verließ er seinen stillen Winkel und suchte die Mitte des Saales auf. Eben erzählte man die Geschichte, wie man Frankfurter Bürger zu sich geladen, ihnen Köstlichkeiten wie Hummer, Rehrücken, Fasane und Gänse vorgesetzt und sich anschließend darüber totgelacht hätte, weil sich alle Speisen als geleimt und gepappt, gemalt und geschnitzt erwiesen hätten – da begann Grothusen mit seiner blechernen Stimme die Blicke auf sich zu ziehen und mit vorsichtigen, zitternden Gesten einen unsichtbaren Kreis zu spannen.
Seine Rede war unangekündigt. Übervorteilt mussten alle lauschen. Selbst Samuel begriff für lange Augenblicke nicht, dass er es war, um dessentwillen Grothusen zu sprechen begonnen hatte. Nach einleitenden Worten kam jener aber dahin, das Anliegen zu verraten, das von Samuel selbst bis dahin verschwiegen worden war.
Man habe Samuel kennen gelernt nach dieser einen Woche, sprach Grothusen, habe ersehen können, wozu er tauge, und möge langsam erwachen für das, was der andere noch im Verborgenen halte. Hier in Cronberg bildeten sich die Künstler ein, ihrer Zeit voraus zu sein, und tatsächlich mochte das Revoltieren ihre größte Leidenschaft sein. Verglichen mit einem Samuel Alt würden sie jedoch nichts Nennenswertes wagen. Ihr Bestreben, die Natur und den bäuerlichen Menschen unverlogen und pur zu malen, sei bei weitem nicht mit so viel Wagemut versehen wie Samuels Bestreben, gar nicht erst beim Motiv, sondern schon bei der Auswahl der Malutensilien das Unverfälschte, Lebensechte und Reine zu benutzen.
Beinahe grinsend setzte er hinzu: »Denn Samuel Alt malt nicht etwa nur Engel in Menschengestalt, wie ihr sie die letzten Tage saht – nein, in Wahrheit zeichnet ihn aus, dass er dafür seine Farben mit Blut mischt.«
Hernach wartete er, entzündete wie gewohnt seine spitze Zigarre und gönnte den anderen, ihre Empörung und Widerworte loszuwerden.
Tatsächlich taten einige ihm den Gefallen. Dass solches widerwärtig sei, war grummelnd zu vernehmen.
Seit wann er als Kunsthändler auf einen Wahnsinnigen setze, grollte ein anderer.
Zuletzt war von Frömmelei die Rede, welche nicht von der neuesten aller Zeiten künde, sondern von einer uralten.
»Sollen wir uns die Haare wie die Nazarener wachsen lassen und uns gleich ihnen für das Heiligste aufopfern?«, bellte einer.
Simon Grothusen ließ seine halbgerauchte Zigarre fallen, schaffte sich mit gezielten Gesten Platz und redete sich trotz kleiner Statur mit jedem Wort größer. Man hörte ihn, ob man wollte oder nicht. Seine Stimme verlangte es. In diese Stimme legte er alles, was er zu geben hatte. Es war nicht viel – aber im Ton gebündelt sprengte es die heitere Laune.
Es stellte sich heraus, dass Doktor Grothusen, von dem Samuel und Lena und Andreas nichts wussten, als dass er der Kunst diente, die Kunst liebte und Kunst verkaufen wollte, ein Meister des Wortes war.
Das Wort kam zwar von ihm, aber es war mit ihm nicht gleichzusetzen. Es flog ihm nicht zu, sondern von den Lippen fort. Das Wort hing an seinen Fäden. Er aber lenkte sie und webte daraus ein Netz, ohne sich jemals darin zu verfangen.
»Mag einer lachen, mag einer spotten, mag einer beklagen,
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