Engelsblut
stärker als dein Wort.«
Bis in die Nacht hinein währte die Zusammenkunft der Künstler in Cronberg. Als alle Lichter des Dorfs erloschen waren, schimmerte es noch immer hinter den Fenstern des Gasthofs Adler. Erst mit dem Morgengrauen verklang das Feiern und wurde schläfriger, wiewohl nicht gänzlich still.
Samuel hatte sich niedergelegt, um zu schlafen, und auch Andreas hockte mit geschlossenen Augen. Nur Lena wachte, um gleichsam forsch wie hilflos Doktor Grothusen zu beäugen, der so plötzlich in ihr Leben getreten war, es an sich gerissen und einfach verändert hatte.
Als sie nicht aufhörte, ihn anzustarren, begann er sie seinerseits vorsichtig zu mustern. Trotzend erwiderte sie seinen Blick.
»Ich weiß nicht, was Ihr im Genauen von Samuel begehrt«, erklärte sie streng, versuchte zu vermeiden, dass ihre Stimme zitterte, und all ihre Macht in den Blick zu legen, den man dort, woher sie kam, rühmte und fürchtete. »Aber es sollte Euch nicht einfallen, Herr Doktor, es mit ihm nicht ehrlich zu meinen!«
Nachdem er Samuel vor ihrem Schlag bewahrt hatte, hatte er sich nicht weiter um sie geschert. Jetzt zuckte er mit den Schultern. Die Augen, die bislang abschätzend und gierig auf Samuel geschaut hatten, wurden schmal und müde.
»Ich bin die Lena«, drängte sie ihm den Namen auf, um ihm gleichsam seine Macht über sie zu nehmen.
Kurz schien es, als wolle er sich wegdrehen.
»So, so, die Lena«, murmelte er schließlich doch, und seine Stimme geriet sanft und nicht mehr metallisch. Schlaf stand ihm im Gesicht. »Und wer bist du, und was treibt dich?«, fragte er.
»Ich liebe den Samuel«, bekannte sie forsch.
»Und deswegen hast du ihn heute geschlagen?«, fragte er.
»Das geht Euch nichts an!«
Er zeigte wieder das übliche Lächeln – aber es war jetzt nicht nur spöttisch, sondern auch ein wenig scheu. »Nun gut ... und warum liebst du ihn?«
Stolz straffte sie ihren Rücken und mochte sich die Verlegenheit nicht anmerken lassen. »Weil ich im Kuhmist geschuftet habe, bevor ich ihn sah!«, erklärte sie bestimmt.
Hierauf zuckte Simon Grothusen zusammen. Der gesprächige Doktor wurde stumm und blass, und seine Finger zitterten, als gehörten sie nicht zu seinem Körper. Mühsam drückte er die Zigarre aus und verschränkte die Hände hinter seinem Rücken, um sie dort gefangen zu halten. Sein Lächeln schwand, und dahinter war sein Gesicht weich, mutlos und traurig.
Verlegen senkte Lena den Blick und gab ihn frei. Nun aber, da sie vergaß, vom Doktor zu verlangen, es gut mit Samuel zu meinen, war er es, der sie mit den Augen nicht mehr losließ. Sie glitten streichelnd über ihre Gestalt. Sie maßen und entblößten und irgendwie wärmten sie auch.
Als sie den Kopf wieder hob, war sie glutrot im Gesicht, und kurz verlangte sie danach, den Doktor so stark zu packen, wie er es seinerseits getan hatte, als er ihre schlagende Hand von Samuel zurückriss.
»Es muss gestunken haben im Kuhmist«, sagte er leise und immer noch traurig, und dann sprach er kein weiteres Wort mehr.
Nur zögerlich setzte sich Simon Grothusen anfangs für Samuel ein. Er hatte ihn nach Cronberg gebracht – hernach beließ er es dabei. Oft verschwand er in der ersten Woche einen ganzen Tag lang nach Frankfurt, und selbst wenn er abends bei ihnen im Gasthof Adler hockte, tat er wenig, um Samuel der Runde stärker einzuverleiben.
Jener fasste nicht eigentlich den Entschluss zu bleiben. Er tat nichts weiter, als am nächsten Tag nicht aufzubrechen. Andreas, unterwürfig wie stets, mietete sie in eines der umliegenden Gasthäuser, Zum grünen Wald, ein, wo sie die ersten Tage verbrachten und Samuel wieder zu malen begann.
Freudlos entstanden die ersten Bilder, an denen Samuel arbeitete, ohne sich für deren Motiv eindeutig zu entscheiden. Die Absage ans Menschenmalen war aufgeweicht, seitdem er die Frau des Wirts auf Papier gebannt hatte – der Wunsch, an einem Engel zu schaffen, der Menschen mehr berührte als jemals ein Porträt von ihresgleichen, war noch vorhanden, wiewohl zurechtgestutzt von dem bisherigen Misserfolg. Heraus kam eine blasse Mischung zwischen Mensch und Engel. Sie stellte ihn nicht zufrieden, aber genügte, dass die anderen Künstler neugierig auf ihn wurden, fragten, was er triebe, und seine Bilder sorgsam betrachteten. Samuel verweigerte sich ihnen nicht, sondern zeigte das Gemalte, erfuhr nach und nach die Namen der fremden Maler und hockte schließlich manche Stunde mit ihnen zusammen, um
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