Engelsblut
wie eine Kirchenmaus, als auf euch geizige Krämer angewiesen, denen es nur ums Schachern geht! Euch fehlt der Charakter! Ihr wollt, dass wir Künstler nachgeben und nach eurer Pfeife tanzen.«
Unwirsch wandte sich Burger ab, während sich Grothusen erschöpft aufs Schweigen verlegte. Ihm waren die Worte ausgegangen. Einen letzten Satz vermochte er noch zu sagen, und mit jenem wandte er sich Samuel zu.
»Das bereust du«, zischte er. »Das bereust du.«
Er wartete nicht, bis wieder Gelächter losbrach und irgendeiner ihm spöttisch auf die Schultern hieb, sondern würdigte Samuel keines Blickes mehr und stürmte ins Freie.
Sie versäumten den Sonnenuntergang. Als Lena zu Grothusen trat, hing nur mehr schütteres Dämmerlicht in der sommerklaren Luft. Abwartend und stumm blieb sie stehen, denn obwohl sie ihm gefolgt war, wollte sie ihm nicht zu nahe treten. Vom Ende des Gässchens aus, wo sie standen, konnte man in der Ferne Frankfurt sehen und in der Nähe die Kastanienhaine. Beides versank im nächtlichen Schwarz.
Als Grothusen endlich die Lippen öffnete, kam kein geschliffenes Wort hervor, kein Schimpfen und Verteidigen, nur weinseliges und enttäuschtes Stottern.
»Ich verstehe viel davon«, klagte er trüb, »wie man den Wert eines Gemäldes einschätzt, wie man Interesse dafür weckt. Ich kann Menschen überzeugen ... «
Sein Mund zitterte, wiewohl er’s verbergen wollte.
»Ist dir auch wohl?«, entfuhr es ihr, und sie trat ihm näher, als sie es jemals hatte tun wollen.
Er starrte durch die Dunkelheit auf sie. Sie war nicht schön, aber sie roch nach einem gesunden Weib.
Grothusen neigte sich vor, sie zu erschnuppern.
»Weißt es doch auch«, murrte er leise. »Weißt es doch auch, wie es ist, wenn man im Leben nichts tun will, als dem Dreck zu entkommen. Wenn man sich sehnt nach etwas, das schön und sauber ist. Wenn man sein Herz an etwas hängen möchte, um zu vergessen, wer man ist.«
Er sprach es fordernd und neigte sich vor, um sie am festen Haar zu packen. Es war geschnitten, seitdem sie Samuel begleitete.
Lenas Körper wurde heiß, doch sie rührte sich nicht.
»Ich bin kein Künstler«, raunte er verweint. »Und mag’s auch sein, dass ich nicht viel von ihnen halte! Aber ich will meinen Platz unter ihnen haben! Ich muss es! Sonst gibt es keinen Ort für mich auf dieser Welt!«
Seine Stimme stockte. Sein rauchiger Atem blies in ihren Mund.
»Ich war im letzten Sommer schon in Cronberg«, fuhr er stammelnd fort. »Ich habe nie gesagt, dass ich hier alle leiden mag. Aber es verhält sich an diesem Ort, als gäb’s kein Leben vor und nach dem Sommer, als gäb’s keines der Gebote und Gesetze, die anderswo einschränken. Es ist wie in einem verwunschenen Land, am Rande der Welt. Wo anders sollt ich Heimat finden als dort, wo keiner sich erinnert, dass ich nichts bin als ein Fischersohn, der Fisch hasst?«
Sie antwortete nicht, aber sie überließ ihm ihren Körper, der sich alsbald an ihn schmiegte. Seine Hände hielten sie warm, viel gieriger, als Samuel es jemals wollte oder Andreas es jemals konnte, und sie gab sich darein und fühlte, wie Lust ihre Scham nässte und sie dazu drängte, sich an ihm zu reiben.
Simon Grothusen sprach lallend immerfort. Einmal begonnen konnte er nicht mehr aufhören. »Wie können sie es wagen, mich zu verhöhnen? Was gibt einem wie Samuel mehr Recht und Wert als mir? Was ist das Bessere an ihm? Ich hab ihm meine Dienste angeboten, sodass wir beide Vorteil haben. Ohne mich ist er verloren!«
Er presste seinen Körper an den ihren, grapschte zitternd nach ihren vollen Brüsten, streckte seine Zunge aus, um ihre Lippen zu lecken.
»Ich will nichts, als dem Fischgestank zu entgehen«, setzte er hastig hinzu. »Und weiß zugleich, wie schrecklich es ist, von nichts anderem angetrieben zu sein als davon. Ich weiß, wie schmählich es ist, sein Leben nur aus Furcht zu führen. Aber du kennst diese Furcht auch, nicht wahr? Du willst den Dreck loswerden wie ich? Du verstehst mich doch!«
Seine Hände wollten nicht mehr von ihr lassen. Seine schwere Zunge wanderte über ihre Wange und saugte sich stöhnend an ihrem Ohr fest.
»Du verstehst mich doch«, wiederholte er raunend. »Du gleichst mir doch!«
Sie war ihm eine Welt. In gleicher Augenhöhe kauernd, entschied er, dass sie ihm gehören sollte und nicht Samuel. Nicht wissend, dass man ihrem Blick und ihrer Stimme nachsagte, den Lauf der Welt anzuhalten und neues Leben zu schenken, glaubte er daran,
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