Engelsblut
Skizzenblock, indessen Grothusen nervös schluckte.
»Aber Samuel ...«, setzte der Übervorteilte an.
Hastig hob Burger die Hand, ihn zum Schweigen zu bringen.
»Nun denn«, sagte er, grinste abfällig in Grothusens Richtung und nickte Samuel aufmunternd zu. »Wenn du bleiben willst, so kannst du’s gerne versuchen!«
Er lachte sich dröhnend den Ärger weg, und manche stimmten folgsam ein.
Lena lachte nicht. Verlegen starrte sie auf den Boden und wollte nicht zusehen, wie Grothusen erbleichte.
»Samuel ...«, wollte jener den anderen erneut abhalten.
Samuel aber begann versunken zu zeichnen und blickte kein einziges Mal hoch. Welches Motiv er gewählt hatte, ließ sich nicht erkennen.
Schließlich verklang Burgers Lachen; es wurde still im Gastsaal, nur das Kratzen von Samuels Kohlestift ließ sich vernehmen – und dabei blieb es die Hälfte einer Stunde lang. Dann seufzte Samuel, warf die Skizze von sich, als wolle er nichts damit zu tun haben, und lehnte sich ermüdet zurück.
Anton Burger war nicht bereit, sich nach dem Skizzenbogen zu bücken; desgleichen tat Grothusen nichts, um das verräterische Werk zu fördern. Lena war es denn, die schließlich im gespannten Schweigen vortrat, die Skizze aufhob und Burger vors Gesicht hielt. Hochmütig blickte jener darauf, studierte sie anfangs nachlässig, dann anerkennend, zuletzt wieder lachend. Es waren Spott und Wohlwollen herauszuhören.
»Das nenne ich, was mir gefällt!«, rief er herzhaft.
Rasch drängten sich die anderen zusammen, um gleichfalls zu erspähen, was Samuel gemalt hatte, und hoben es schließlich dem bleichen und stocksteifen Grothusen unter die Nase.
Jener begann noch stärker zu zittern. Sein angespanntes Gesicht verfiel. Seine Züge waren nicht länger ruhig gestellt, sondern lagen offen. Kalt lief es ihm über Brust und Rücken, und wiewohl sein Herz verzweifelt dagegen anpumpte, wackelten ihm die Knie und verloren die bebenden Fußspitzen ihren festen Halt.
»Du hättest dich nicht mit mir messen sollen«, sagte Samuel ruhig, »denn auch wenn du’s bestreiten wolltest: Mein Bild ist doch stärker als dein Wort.«
Unter dem losbrechenden Gelächter musste Grothusen sich selbst erkennen.
Das Bild zeigte ihn als jungen Mann, nachdem er Husum verlassen, sein Studium beendet und die Stelle als Hauslehrer angetreten hatte. Seine Haltung deuchte erhaben und sein Gesicht hochnäsig verzogen, aber die Kleider waren zerrissen und voller Flicken, und unter den Fingernägeln wucherte der Dreck seiner Herkunft. Starr blickten Grothusens Augen auf ein Gemälde, doch anstatt es zu bestaunen und in der Liebe zur Kunst aufzugehen, hielt er eines jener Messer in der Hand, mit dem man dort, wo er herkam, Fischbäuche aufschlitzte. Mit diesem Messer zerschnitt er das Gemälde, nicht rasend und von einer blinden Wut gepackt, sondern mit kühler Bedachtsamkeit. Sein Wille zur Vernichtung war nicht roh – er unterlag einer sorgfältigen, gründlichen Planung, die dem Gemälde Schaden zufügte, der nicht wieder gutzumachen war. Glücklich stimmte ihn diese Tat nicht. Anstatt vom Zerstörungstrieb gesättigt, blickten die Augen nicht starr und entschlossen, sondern todtraurig.
Grothusen würgte. Es war ihm auf dem Bilde keine Liebe zur Kunst anzusehen, nur Ekel vor sich selbst, vor seiner Herkunft, vor Fisch – und Neid auf die Künstler, die er groß machen, beherrschen und fallen lassen wollte, wenn sie ihm nicht genügend Münzen einbrachten.
Er liebte die Kunst nicht. Er hasste sie. Zwar verschaffte sie ihm die Freiheit, sein Wort zu erproben, und gab ihm eine Aufgabe weit weg vom Fischgestank. Aber zugleich züchtete sie seine Missgunst und seine Verachtung für all jene, die sich dieser Kunst verschrieben hatten und sie besser beherrschten, als er es jemals könnte.
Künstlerpack! Euch möchte ich was erzählen von der Kunst, wenn ihr nichts zu fressen habt außer Fisch! Euch möchte ich sehen, wenn ihr mit euren bunten Jäckchen über dem stinkenden Meer hängt und kotzt! Euch möchte ich sehen, wenn ihr mit aufgescheuerten Händen ins harte Bett fallt und der Schlaf nichts weiter ist als ein hungriges Loch, das an euch frisst! Euch alle will ich sehen, die ihr meint, die Welt ist ein harmloses Vergnügen, das ihr euch mit eurem Pinselchen schön malen könnt! Verwöhnte Schlappschwänze! Aufgeblasene Schnösel! Feige Memmen! Ihr denkt, ihr könnt euch die Liebe zur Kunst leisten, wo doch die Liebe zum Geld das Einzige ist, was die Welt
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