Engelsblut
Engel;
durch ihn allein
sind mehr Menschen größer geworden
als durch alle Freuden dieser Welt.«
ADALBERT STIFTER
SIEBTER TAG
Es ist zu erzählen, wie Samuel sich nackt zeigt,
Andreas seine Liebe beweist und Lena sich vor
Grothusen ängstigt
Nach drei Jahren traf Samuel Doktor Grothusen wieder, und es war Andreas, der dafür sorgte, dass es geschah.
Bis dahin gab es eine Zeit, die sich in Samuels Leben als glücklich herausstellte. Wiewohl ihn zuerst nur der Wettstreit mit Grothusen im Taunusdörfchen gehalten hatte, entdeckte er später allmählich eine Welt, von der er lernte und die er – unerwartet, ungewollt, jedoch bestochen vom friedlichen Gleichmaß der Tage und von der Gesellschaft gleichgesinnter Künstler – zu genießen begann.
Er blieb in Cronberg und bei dem Entschluss, das Zusammensein mit den anderen Malern zu nutzen, um seinen Stil zu verfeinern und alles zu erfahren, auf dass er dereinst Engel malen könne, wie er Menschen malte. Vorerst begnügte er sich damit, Glieder, Gesichter und Gestalten abzubilden, von denen nie gewiss war, ob sie himmlisch oder irdisch seien. Vielleicht wusste er es selbst nicht.
Nie trachtete er in seiner Cronberger Zeit danach, dem engsten Kreis der Künstler zuzugehören. Dennoch verschloss er sich der Gemeinschaft nicht und gab sich menschenfreundlicher als früher – nie werbend, nie leichtfertig fröhlich, nie lebenstrunken, aber stets mit dem vorsichtigen Bemühen, nicht abzustoßen und zu verschrecken, sondern einzunehmen. Oft war er abends Gast im Adler, nahm am Kegeln und Scheibenschießen teil, bei Theateraufführungen und Verlosungen. Selbst zur Jagd ging er – um die Farben des Waldes zu bewundern. Mit Bedacht wählte er einige Gefährten aus, um an deren Kunst Methoden abzugucken, die er für sich noch nicht entdeckt hatte. Er malte gemeinsam mit ihnen und floh – wenn sie das Werk beendet hatten – nicht vor ihnen, sondern blieb hocken, hörte zu, wenn jene ihr Leben beredeten, und streute dann und wann selbst ein Wort ein.
Mit Anton Burger hatte er wenig zu schaffen. Sie wichen sich nach dem ersten Abend aus, an dem sie gemeinsam Grothusen vertrieben hatten. Doch so wie Samuel hinnahm, dass Burger als der Größte in Cronberg galt, so duldete der Ältere ihn als sonderlichen Kauz, der zwar nicht recht in den vertrauten Reigen passen mochte, jenen aber zumindest nicht störte. Er gewährte Samuel zu bleiben und hier einen Ort zu finden, der einem Zuhause gleichen mochte.
Selten erzählte Samuel von dort, woher er gekommen war. Nur dass er in seiner Heimat ein Verkannter geblieben war, sprach sich herum, und manch einer meinte kameradschaftlich, dass ihm hier nicht Gleiches passieren dürfte.
Stockend erwähnte er einmal, dass man seine Bilder nicht nur abgelehnt, sondern gar verbrannt hätte, und ohne die Umstände zu erfragen, erklärte man solches für mittelalterlich. »Dies fehlte noch, dass sich die Kunst dem Geschmack der Mächtigen zu unterwerfen habe!«, rief einer.
»Ja!«, stimmte man zu. »Wenn wir es verdienen sollten, dies Jahrhundert groß zu machen, so wollen wir es als eines ins Gedächtnis brennen, dessen Kunst keine Autorität anerkennt. Weder Gott noch Teufel! Weder Staat noch Kirche!«
»Es ist gut«, murmelte einer, der Samuel am nächsten saß, »dass du bei uns bist.«
Samuels Stil reifte. Um tiefere Farben zu erzielen, malte er nass auf nass. Er lernte, dass die oberste Schicht sich glänzender gestalten ließ, wenn ihr Lichtgrün, Bleiweiß oder Purpur zuunterst lag. Er erprobte sich im Zusammenführen von Gegensätzen – wärmte eine kühl temperierte, blaustichige Grundierung mit hellen Tupfern aus Ocker, Gelb und Weiß.
Häufig benutzte er den Spachtel, um kleine Tropfen reiner Farbe auf die Bildfläche aufzutragen und Glanzlichter zu schaffen, lockerte insgesamt seine Pinselführung auf und schuf erste Bilder in tonigem und frischem Kolorit.
Seine Wissbegierde war nicht grenzenlos. So war er nie versucht, ein Landschafter zu werden. Aber am Vorbild seiner Kollegen lernte er, die Natur genauer zu betrachten. Er erkundete, von welchem Winkel die Sonne durchs Geäst fiel, wie stark das Grün und Braun in Bodennähe dunkelten, wie fein Schattierungen vom Blätterwerk hervorgebracht wurden. So wie die Natur das Licht setzte, versuchte er es nachzumachen – und verbrachte wie die anderen Maler viele Stunden im Freien, um dort zu arbeiten. Sein Gesicht verlor die Blässe. Braun gebrannt waren am Ende des
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