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Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kroehn
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Bild«, nutze ich schließlich die Erregung, die sie mit Grothusens Namen verbindet. »Er meinte, dass ich es vielleicht hier zu sehen bekäme. Wollte jedoch nicht verraten, was es zeigt ...«
    Ganz offensichtlich wünscht sie anderes zu hören. Bevor ich ihr jedoch sagen kann, dass es nicht mehr gibt, was ich ihr berichten könnte, geht sie auf das Gesagte ein.
    »Es ist gut«, murmelt sie, »es ist gut, dass er es Euch nicht beschrieben hat. Man darf über das Bild nichts sagen. Man darf es nicht sehen.«
    Ihr Antlitz zeigt Risse. Ihre Augen gleichen zwei offenen Wunden.
    »Das Bild zeugt von einem schrecklichen Verbrechen«, murmelt sie.
    »Und Ihr wahrt das Andenken daran?«, frage ich.
    »Nein«, bekennt sie tonlos. »Ich vertusche es.«

»Wer Engel sucht
    in dieses Lebens Gründen,
    er findet nie,
    was ihm genügt.«
    CHRISTOPH AUGUST TIEDGE

ACHTER TAG
    Es ist zu erzählen, wie Samuel berühmt wird, Grothusen eine Hure fortschickt und Lena in einem Streit unterliegt
    Beim großen Deutschen Künstlerfest in Salzburg, das von weither Menschen lockte, trat ein Redner auf, den niemand überhören konnte.
    Dieser Doktor Simon Grothusen vermochte mit seinen Worten Bilder zu entwerfen. Mit den ersten Sätzen ebnete er eine unsichtbare Leinwand. Er suchte sein Gesichtsfeld ab, um einzuschätzen, ob aus dem Publikum Widerspruch zu erwarten sei oder Zustimmung. Wo die leere Fläche sich schroff und rissig zeigte, trachtete er danach, sie mit einem einladenden Lächeln zu glätten, mit freundlichen Handbewegungen, mit dem leichten, entgegenkommenden Vorneigen seines Oberkörpers. Auf diese Unterlage setzte er die Imprimentura – Floskeln, die verhießen, ohne etwas zu heißen. Sie blieben von Auftritt zu Auftritt dieselben und waren beständig wie der rötliche oder ockerbraune Ton von Samuels Grundierung. Grothusen verschwendete sie sorglos – um mit viel größerem Bedacht den ersten Farbtupfer aufzutragen. Wie Lasuren baute er seine Rede auf, legte Wörter übereinander, wählte als erste Sätze solche, die leuchtend waren und bis zu den letzten Schichten durchschimmerten, variierte mit öligen und flüssigen Ingredienzien. Aufgespart bis zum Ende blieben die Lichtakzente. Er begrenzte sie auf seltene Aussagen, mit denen er Engel umschrieb.
    »Sie haben vier Flügel und Hände darunter. Manchmal gleicht ihr Angesicht dem Menschen, dann dem Löwen, dann dem Stier, dann wieder dem Adler«, zitierte er aus dem Buch Ezechiel. Noch war seine Stimme ernst, dann fügte sie, leiser werdend, hinzu, wie die göttlichen Wesen Schatten auf das amarantrote Abendlicht warfen, wie sie die kristallene Luft durchpflügten, wie sie durch gefügige Winde glitten und die fiedrige Rüstung sachte über ihre Fersen wehte. Aus der dichten Atmosphäre der Erde, erklärte er, steigen Engel in die lichten Abgründe des Himmelsraums und wieder zurück, aus der stickigen Menschenwelt in das glasklare Eden.
    Er rundete seine Rede ab, belegte die letzten hellen Worte mit einem erdtönernen Firnis, der den gröberen Pigmenten seines Sprechens glich. Jetzt erzählte er nicht mehr von Engeln, sondern von Menschen, erklärte, dass es nicht deren Mühsal sein dürfe, was die Kunst gebäre. Wer der Kunst diente, müsste das Tägliche hinter sich lassen. Wer der Kunst diente, müsste dem erdnahen Dasein mit seinen dumpfen Gesetzen entgehen. Wer der Kunst diente, müsste sich ins Luftige und Leichte begeben – und das wäre dort zu finden, wo Samuel Alt auf Gefolgschaft warte. Vielerlei hohe Dienste gebe es im erlauchten Kreis des Palais Hagenstein zu tun. Es war Blut zu spenden, Farbpigmente waren zu mahlen, durch die Lande musste man ziehen, Samuels Namen zu preisen, sich dessen Stil anzueignen, seine Bilder zu verkaufen ...
    Diese Aufzählung wollte gar nicht enden.
    Manchmal geriet der Firnis zu zäh und dunkel. Die Menschen hörten, aber verstanden nicht, grölten und belachten, was Grothusen da sagte. Dann ließ er seine werbenden Worte ruhen, zählte den Zuhörenden stattdessen die Namen von solchen auf, die in Samuels Gefolgschaft lebten, und zeigte Bilder, welche dieser gemalt hatte. Das Sichtbare folgte auf das Hörbare. Es trug zum Verständnis bei und mäßigte den Spott.
    Und wenn Grothusen Erfolg und Neugierde witterte, lächelte er sacht, und seine Hände zitterten nicht mehr wie früher.
    Nach seinem schmählichen Ende in Cronberg hatte es ihn erneut nach Süden gezogen. Das Mediterrane lockte – und schreckte zugleich mit dem

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