Engelsblut
Übermaß an Meer und Fisch. So blieb er auf halbem Wege hocken, lebte in München, danach in Wien. Zu dieser Zeit waren nur wenige Kunstmäzene in der österreichischen Hauptstadt zu finden – ein Umstand, den er sich zunutze machte, indem er das leer stehende Feld beackerte.
Wie in Frankfurt begann er zunächst, auf einzelne Familien zu setzen, versuchte erst bei der Hocharistokratie Geltung zu erlangen, dann beim Großbürgertum, und schließlich wurde er regelmäßig von den Familien Figdor und Rothschild empfangen. Im Salon der Josephine von Wertheimstein, einer geborenen Gomperz, die einen kunstsinnigen Kreis um sich versammelte, ging er ein und aus, um hier zu erkennen, dass es nicht genügte, auf einzelne Familien zu setzen. Stattdessen musste er Netze zwischen ihnen weben.
Nach dem ersten Jahr begann er sich der Gründung von Kunststiftungen zuzuwenden, in denen sich das Vermögen vieler vereinen sollte. Nach dem zweiten Jahr war er so angesehen, dass man ihm nicht nur Kunstverstand zutraute, sondern auch die Verwaltung jener Stiftungen. Nach dem dritten begann er unruhig zu werden und im engsten Kreis zu schimpfen, dass er nicht ausgelastet und Wien ein banausisches Nest sei, eine Phäakenstadt, wo es zu viel an Phlegma gäbe, aber zu wenig an Spirit.
Die Liebe zur Kunst ließe sich hier nicht leben, bekundete er laut und ärgerlich. Leise dachte er sich, dass die Kunst zu wenig Geld einbrächte. Sein Name war bekannt, aber machte ihn nicht reich. Er konnte von Stiftung und Bilderverkauf leben, aber wenig für die Zukunft sparen, die deshalb nach Fisch zu stinken drohte wie seine Vergangenheit.
Rastlos suchte er gerade nach neuen Möglichkeiten, Geld zu machen, als er Samuels Ruf vernahm und mit ihm die Verlockung, im Palais Hagenstein zu leben, wo Andreas sich nicht scheute, all den ererbten Reichtum für Samuels Belange einzusetzen.
Grothusen zögerte über lange Monate, in denen ihm selbst noch nicht klar war, ob er Samuel zappeln lassen oder den eigenen Stolz pflegen wollte.
Schließlich reiste er ins Salzburgerische, zeigte sich dort gutgelaunt und reichte Samuel versöhnlich die Hand.
»Ich will«, sagte er als Erstes schmierig lächelnd, »dass das Alte nicht zwischen uns stehen soll. Nur Kleingeister betreiben einen Wettstreit wie wir dereinst. Lass uns darüber stehen und zusehen, was wir gemeinsam schaffen können.«
Samuel zögerte. Nun, da Grothusen leibhaftig vor ihm stand und keine leere Drohung mehr war, mit der er sich an Lena rächen konnte, fühlte er sich von ihm bedrängt. »Willst mir doch nicht sagen, Herr Doktor, dass du nun mehr an mein Bild und weniger an dein Wort glaubst?«
»Dies nicht«, bekannte Grothusen, um im werbenden Tonfall von einst fortzufahren: »Aber so wie du die Wahrheit malst, kann ich sie benennen. Und die Wahrheit zwischen uns ist doch: Du brauchst mich, um einen Kreis an Maljüngern um dich zu scharen, um Menschen zu finden, die dir ihr Blut geben, und um die Engelbilder anzupreisen, auf dass man davor erbebt und erzittert – und ich brauche dich, um so viel Geld an dir zu verdienen, dass ich niemals wieder im Leben Fisch essen und riechen muss.«
Vorsichtig reichte Samuel seine Hand. Der Händedruck war flüchtig, die Abmachung dennoch besiegelt.
»Das nenne ich ein Geschäft«, erklärte der Künstler, und der Redner lachte zustimmend auf, bekam von Andreas einen Vorschuss auf künftige Dienste ausbezahlt und beschloss, sich davon die edelste und feinste Kleidung schneidern zu lassen, die er je getragen hatte.
Schwerer kam er gegen Lenas Misstrauen an. Dass Samuel den Doktor für seine Zwecke brauchte und jener versöhnt und dienstbereit sei, wollte sie nicht glauben. Der Pakt, den die beiden geschlossen hatten, verstörte sie, anstatt zu trösten. Mürrisch antwortete sie auf sein höfliches Lächeln, das vorgab, er hätte die Nacht vergessen, da sie ihn ausgeschlagen hatte.
Weil er nicht davon sprach, tat sie es schließlich selbst. In seinem Gemach stellte sie ihn zur Rede.
»Ich weiß nicht, was du dir von Samuel erhoffst«, sprach sie ihn an, »aber dass es zu deinen eigenen und nicht zu seinen Gunsten geschieht, erkenne ich. Dich treibt die Rache – an ihm und an mir.«
Grothusen blickte sie versonnen an. »Und falls es so wäre?«, gab er nach einer Weile leichtfertig zurück. »Was hättest du zu fürchten? Wenn Samuels Bilder so groß sind wie deine Liebe zu ihm, so kann doch einer wie ich dagegen nichts ausrichten!«
Sprach’s,
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