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Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kroehn
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was ihn hier lange Zeit zufrieden gemacht hatte.
    Dass Lena nicht einverstanden war, stimmte ihn schadenfroh und mutig und ließ ihn erst am letzten Abend, da der wenige Besitz gepackt und der Abschied von den Verbleibenden genommen war, wieder wortkarg und melancholisch werden.
    Andreas fühlte sich zerrissen zwischen den beiden.
    »Wirst sehen«, versuchte er sich selbst zu trösten, »wirst sehen – dort, wo wir hingehen, kannst du der Größte sein, die Mitte, die alles zusammenhält, das Vorbild für Schüler. Magst endlich selbst den Stil prägen und vorgeben, was zu malen ist – nicht andere.«
    Sie hockten auf einer schmalen Bank im Freien. Sternenklare Nacht spannte sich über sie. Der Himmel dunkelte wie blaue Trauben und Brombeeren. Nur dort, wo er in der Ferne auf den Main traf, bläute er.
    »Es mag recht sein, dass ich von hier gehe«, knurrte Samuel, »aber es wundert mich, dass ihr beide nicht aufhören könnt, mir zu folgen. Wie erbärmlich müsst ihr sein.«
    Er schwieg den restlichen Abend. Er schwieg die Reise über. Er schwieg in den ersten Monaten, die sie in der Heimat zubrachten. Ein halbes Jahr später gelang es ihnen, mit Hilfe von Zeitungsannoncen Doktor Simon Grothusen zurück in ihr Leben zu holen.

Ich lehne es ab, mich einer schwachsinnigen Alten hinzugeben, die zwanzig Jahre lang ein fremdes Leben behockt, und fliehe überhastet vom Gutshof Altenbach.
    Eine unruhige Nacht folgt, die ich in einem zugigen Wirtshaus zubringe. Das Zimmer, das ich für wenig Geld bewohne, liegt über der Fleischerei, und noch im Morgengrauen umfängt mich der Geruch von frischer Blut- und Bratwurst. So wenig wie vom Gestank gibt es ein Entkommen von meinen Gedanken. Obwohl ich versuche, das Gehörte nicht zu ergründen, bringe ich den frühen Morgen mit der Überlegung zu, wie sich die Menschen, die ich getroffen habe, zueinander verhalten – ob Veronika Samuel Alts Schwester oder Tante oder Schwägerin war, und Lena vielleicht gar sein Weib.
    Später suche ich Ablenkung in einem Spaziergang, der mich vom Wirtshaus weg, ein kleines Gässchen entlang und einen bewaldeten Hügel hinauf führt, von wo sich das Land des Hausruck betrachten lässt und vorstellbar wird, wie Samuel Alt hier gelebt hat.
    Ich weiß nicht, wie er ausgesehen hat. Man sagt ihm nach, er sei schön gewesen – und hätte viele Herzen gebrochen. Ob er Kinder hatte, ist unbekannt. Ebenso, ob er jemals so geliebt hat, wie Lena heute noch zu lieben scheint – in dieser erstarrten, selbstverneinenden Weise. Bevor ich kam, habe ich gewünscht (und weil ich es wünschte, habe ich es behauptet), dass Samuel Alt einer gewesen sein müsste, der niemals liebte. Wie sonst hätte er es fertig gebracht, so ehrlich zu malen, so ohne charmante Lüge, so verpflichtet der klaren Leistung des menschlichen Auges, welches im Schauen aufgeht, nicht in dem, was Seele und Herz vorschreiben?
    Doch wie es mich früher begeistert hat, solch einen Künstler zu erahnen, so macht es mich heute frösteln und nach Wärme suchen.
    Da mich mein Gasthof nicht lockt, die Neugierde aber umso mehr treibt, kehre ich zum Anwesen der Altenbachs zurück, das in einer grauen Nebelwand hockt und gleichgültig auf mich wartet. Es schert sich nicht, ob ich früher oder später komme – genauso wenig wie der Alte, der mir wieder öffnet. Er scheint sich über meine kleinlaute Wiederkehr nicht zu wundern, sondern weist mir den Weg zu Lenas Zimmer mit einer nachlässigen Geste.
    Sie empfängt mich auf dem gleichen Stuhl, auf dem sie gestern verharrt war, und sitzt, als hätte sie sich die ganze Nacht nicht geregt. Das Bett ist unberührt; es riecht noch wie gestern in diesem Raum. Es ist, als habe die Zeit, da ich nicht hier war, für sie nur die Dauer eines Wimpernschlags.
    Dennoch sitzt sie nicht mehr so starr wie anfangs. Dass ich dem Manne Erwähnung tat, der nicht nur Samuels Kunsthändler, sondern offenbar auch einer ihrer Weggefährten war, bringt sie dazu, mir entgegenzufiebern. Ihr Mund sprudelt über, kaum dass sie mich erblickt.
    »Ihr müsst mir jedes Wort verraten, das Grothusen Euch sagte!«, verlangt sie, und ihr Drängen setzt mir mehr zu als die leise Trauer des Mannes, den ich in Italien traf. Es stimmt mich unbehaglich und lässt mich umso mehr ihre Geschichte scheuen.
    Ich will sie nicht hören. Ich will nicht wissen, was Lena bewegt. Ich will nicht wissen, welches Erbe Samuel Alt den Menschen hinterließ, die ihn kannten.
    »Er sprach von Samuels letztem

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