Engelsblut
jetzt vor dir und befehle dir: Wenn du mich wirklich liebst, dann nimm ihn für mich.«
Grothusen hing an ihr fest. Sein Entschluss, sie zum einzigen Menschen zu machen, der stärker und lauter war als seine Verzweiflung, machte sie wehrlos. Sie spürte nicht mehr, wie Samuel sie streichelte. Sie fühlte Lust aufkommen und schluckte sie verzweifelt hinunter, suchte dem Körper zu entschlüpfen, aber war in ihm gefangen. Zuletzt musste sie hinnehmen, wie dieser Körper sie verriet und sie in Grothusens Arme trieb.
Lautlos schlich Samuel aus dem Raum. Grothusen aber begehrte, packte und schmeckte Lena, bis kein Platz mehr war für seine Verzweiflung und seinen Neid und seinen Ekel vor dem Fischgestank.
Es war dunkel im Zimmer. Draußen verfaulte eine morgenlose Nacht.
Wo Andreas Lena suchte, fand er Samuel. Lange erkannte er ihn nicht, denn das Gesicht erschien ihm fremd und war im Dunkel nur ein Schatten. Erst als Samuel an ihn herantrat, sich ihm freundlich zuneigte und heiß ausatmete, stammelte Andreas verwirrt seinen Namen.
Noch nie hatte Samuel von sich aus Andreas’ Nähe gesucht. Noch nie war er so dicht bei ihm gestanden.
»Such nicht nach Lena, wenn ich bei dir bin«, flüsterte Samuel.
Andreas lauschte in die Finsternis. Lena war nicht zu hören – aber Simon Grothusen war zu vernehmen, wie er keuchte, stöhnte und schrie. Erschrocken versuchte Andreas an Samuel vorbeizuhasten, doch jener hielt ihn an der Hand fest wie zuvor den Doktor.
»Du willst mir doch nicht sagen«, raunte er, »dass du zu Lena willst, wenn du mich haben kannst.«
»Aber ...«
»Ich bin bei dir.«
»Aber ...«
»Ich weiß, ich weiß«, raunte Samuel. »Ich habe bekundet, dich nicht mehr sehen zu wollen. Es war ein Irrtum. Ich habe dich in den letzten Monaten so sehr vermisst. Ich habe mich nach dir gesehnt.«
In dem Takt, in dem Grothusen drinnen keuchte, hob Samuel seine Hand, fuhr Andreas durchs Haar, streichelte sanft über seinen Nacken, seinen Rücken bis zu seinem weichen Gesäß. Er hauchte einen kalten Kuss auf die erhitzten Wangen des anderen, umarmte ihn, berührte ihn, überließ sich ihm ganz. Wie eine zähe Flüssigkeit bedeckte er jedes Fetzchen Haut, jede Pore des anderen. Nichts ließ er bei seinen Liebkosungen aus. Unendlich weich war Samuel und drängte sich so dicht an den Vetter, dass nichts Fremdes von ihm blieb. Er verschenkte sein lang verborgenes Gesicht, seine Hände und seinen Körper.
Andreas war keiner Regung fähig. Er konnte nichts tun, als Samuel über sich ergehen zu lassen, schaudernd, ergeben, aufgelöst in jenem, auf den sich von jeher alles in ihm gerichtet hatte. Nun konnte er sich nicht mehr nach ihm richten. Es war keine Richtung auszuwählen. Samuel umkreiste und umfing ihn von allen Seiten.
»Du begehrst mich doch«, flüsterte Samuel heiß, »gib endlich zu, wie sehr du mich begehrst, wie du nach meinem Körper verlangst, wie du dich mir hingeben möchtest! Sag es! Gesteh es! Versteck dich nicht hinter den Sitten!«
Andreas blieb wortlos. Da begann Samuel ihn unendlich langsam zu entkleiden. Er löste die Knöpfe seiner Jacke und ließ sie über die Schultern gleiten. Er zog ihm das Hemd aus, fuhr mit seinen Händen über das Brusthaar, küsste seine beiden Warzen, bis Andreas erschauderte.
»Sag es!«, raunte Samuel. »Sag, dass du mich begehrst und mich willst, ganz gleich, was dein Vater sagt, ganz gleich, was die ganze Welt als Gesetz festgelegt hat!«
Andreas erwiderte die Berührungen nicht. Erst stand er steif, dann neigte er sich schmelzend. Samuel löste seine Hosen und streifte sie ihm ab. Er berührte sein hartes Glied, beugte sich vor und küsste es.
»Sag, dass dein Körper nach meinem verlangt!«, befahl Samuel. »Sag, dass du Lust empfindest, wenn ich dich streichle! Sag, dass du immer mehr wolltest, als mich nur von ferne zu begaffen und mich als größten aller Maler zu rühmen!«
Andreas’ Mund war trocken und heiser. Erst als hinter der verschlossenen Türe Grothusen verklang, neigte er sich seinerseits vor, um nach Samuel zu greifen, und öffnete die Lippen.
»Ich liebe dich!«, stotterte er. »Ich will dich! Ich will dich halten und küssen und berühren! Es ist mir gleich, dass es gegen die Sitten ist!«
Seine Hand streckte sich aus. Er hielt sie nicht zurück, um seine Scham zu bedecken. Vielmehr suchte er nach Samuel, um ihn festzuhalten, ein für alle Mal, für immer, auf ewig. Andreas vergaß, dass er sich verachtete. Es fiel ihm nichts anderes
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