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Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kroehn
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er sich nicht. Sein ganzer Körper war gespannt.
    »Ich will jetzt gehen und sehen, was es zu tun gibt«, erklärte sie hastig und stolperte beim Aufstehen. »Kannst mitgehen, wenn du magst.«
    Drei Schritte führten sie von ihm weg. Dann packte Andreas sie am Arm, hielt sie so angespannt, wie er eben gesessen war, und zog sie herab auf seinen Schoß.
    »Andreas!«, rief sie.
    Der Schrei erstickte. Andreas hatte sie so fest an sich gepresst, dass ihr der verschwitzte Stoff seines Hemdes in den geöffneten Mund gelangte. Er schob ihr Gesicht unter seine Achselhöhle, presste den Arm darüber und drückte so fest zu, dass er ihr den Mund stopfte und die Nase zupresste. Sie japste nach Luft, bekam aber keine. Sie wollte sich befreien, aber verblieb in seinem Joch. Er wurde ihre ganze Welt. Andreas quetschte sie so dicht an sich, dass sie aus nichts anderem mehr bestand als aus ihm. Sie war taub, sie war blind, sie war stumm. Es gab nur Andreas.
    Strampelnd und zappelnd kämpfte sie gegen ihn an, aber zum ersten Mal war sie schwächer als er und konnte weder Blick noch Schrei nutzen, um gegen ihn anzukommen. Zuletzt vermochte sie nichts anderes, als sich fallen zu lassen, sich seinem Schweigen und seinen Händen hinzugeben.
    Endlich ließ er sie los und deutete auf sein nass geschwitztes Hemd. »Riechst du mich? Riechst du mich?«, fragte er ein ums andere Mal.
    Reglos verharrte sie.
    »Nein, du hast mich nicht gerochen«, fuhr er fort. »Du bist beinahe an mir erstickt – aber gerochen hast du mich nicht. Ich schwitze, aber du kannst mich nicht mehr schmecken. Einst haben wir gleich gerochen. Einst haben wir Samuel gleich geliebt. Aber jetzt rieche ich nicht mehr. Meine Liebe hat aufgehört zu stinken!«
    Andreas wandte sich ab und begann zu weinen. Es war das erste Mal seit jener Nacht, dass seine Augen tränten. Sie verstand, was er bekunden wollte, ohne dass er weitere Worte dafür suchen musste.
    »Wie kannst du so etwas sagen!«, rief sie entsetzt. »Wie kannst du es wagen, dich von Samuel loszusagen!«
    Andreas biss auf seine Lippen und schmeckte Blut, so salzig wie die Tränen. »Samuel hat uns längst verstoßen!«, klagte er bitter. »Begreifst du nicht, dass er uns hasst und dass er auch nicht die geringste Berührung von uns erdulden will?«
    »Aber so ist es recht!«, gellte Lena. »Samuel lebt wie ein Engel, körperlos und unantastbar! Darum gab er mir Grothusen auch an seiner statt!«
    »Nein, nein«, schluchzte Andreas. »Er gab dir Grothusen, auf dass er dich los wird und auf dass ich niemanden mehr habe, der mich trösten kann. Er verachtet uns beide! Er gönnt uns nicht, dass wir ihn lieben!«
    »Bist du irr geworden?«, plärrte Lena. »Wie sollte er jemals einen vollendeten Engel malen können, stünden nicht Menschen wie wir treu an seiner Seite.«
    »Aber er kann es eben nicht«, sagte Andreas. »Er kann es nicht! Hör mir zu, Lena! Samuel will Engel malen, weil er die Menschen hasst. Aber eben weil er sie hasst, wird er es niemals können. Er ist nicht fähig, vollendete Engel zu schaffen, liebende, zärtliche, barmherzige!«
    Er hockte gekrümmt und mochte sie nicht anschauen. Er fühlte, wie sie von ihm wegtrat und mit gleicher Verachtung auf ihn starrte wie Samuel in jener schrecklichen Nacht.
    »Wie kannst du es wagen, solches zu behaupten!«, gellte sie.
    Er wartete, dass sie nach ihm treten und ihn blutig schlagen würde, dass sie ihn so lange rütteln möge, bis er verstummt war. Stattdessen wich sie immer weiter zurück, und es ging ihm durch den Kopf, dass sie ihn nie wieder berühren würde, nie wieder trösten, nie wieder wärmen. Die Spuren seines Schweißes waren das Letzte, was er ihr hinterließ.
    »Samuel zerstört uns, Lena«, stammelte er. »Samuel ...«
    »Denk gar nicht erst daran, weiterzusprechen!«, fiel sie ihm hasserfüllt ins Wort.
    Langsam hob er den Kopf. Er streckte den gekrümmten Rücken, weil sie so weit von ihm gegangen war, dass er sich nicht länger schützen musste.
    »Ich muss gar nicht weitersprechen«, murmelte er erstickt.
    »Du hast es längst gerochen. Meine Liebe hat aufgehört zu stinken! Ich habe Samuel verloren.«
    Er wischte sich seine Tränen so wenig ab wie vorhin den Schweiß. Beides trocknete zu Salz. Er ging und drehte sich kein einziges Mal nach ihr um.
    Trostlos blickte Lena ihm nach, verzweifelt und niedergeschlagen wie noch nie, seitdem sie Samuel folgte. Sie stampfte wütend auf, um die Schwermut abzuschütteln, kramte nach gerechtem Zorn

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