Engelsflammen: Band 3 (German Edition)
müde und gequält und unsicherer, als Daniel es jemals für möglich gehalten hätte. »Wenn ihre Seele eines Tages zu leben beginnt, ohne dass das Gewicht des Sakraments eine Seite für sie gewählt hat, dann soll sie frei sein, zu wachsen und für sich selbst zu entscheiden und diesen Augenblick noch einmal zu durchleben, um der verhängten Strafe zu entgehen. Und um damit diese Liebe, von der du behauptest, sie ersetze die Rechte des Himmels und der Familie, der letzten Prüfung zu unterziehen. Ihre Entscheidung wird dann deine Erlösung sein oder deine Strafe besiegeln. Das ist alles, was getan werden kann.«
Daniel verneigte sich und sein früheres Ich verneigte sich ebenfalls.
»Ich kann das nicht ertragen!«, brüllte Luzifer. »Das dürfen sie nicht! Niemals …«
»Es ist geschehen«, donnerte die Stimme des Throns, als habe er die Grenze seiner Gnade erreicht. »Ich werde niemanden dulden, der in dieser oder irgendeiner anderen Sache mit mir streiten will. Hebt euch hinfort, ihr alle, die ihr schlecht oder gar nicht gewählt habt. Die Tore des Himmels sind euch verschlossen!«
Etwas flackerte. Und mit einem Mal erlosch das hellste Licht von allen.
Es wurde dunkel und eisig kalt.
Die Engel schnappten nach Luft und zitterten und rückten enger aneinander.
Dann: Stille.
Niemand rührte sich und niemand sprach.
Was dann geschah, war unvorstellbar, selbst für Daniel, der das Ganze bereits einmal erlebt hatte.
Der Himmel unter ihnen erbebte und der weiße See lief über und überschwemmte alles mit einer feurigen Welle dampfenden weißen Wassers. Der Obstgarten des Wissens und der Hain des Lebens stürzten ineinander und ihr letztes Aufbäumen gegen den Tod erschütterte den ganzen Himmel.
Ein silberner Blitz fuhr aus dem Thron und schlug im westlichen Ende der Wiese ein. Die Wolkenerde verkochte und wurde schwarz und eine Grube dunkelster Verzweiflung öffnete sich wie ein Krater direkt unter Luzifer. Mit all seinem ohnmächtigen Zorn waren er und die Engel, die ihm am nächsten waren – verschwunden.
Was die Engel betraf, die sich noch entscheiden mussten, so verloren auch sie ihren Halt auf den Ebenen des Him mels und glitten in den Abgrund. Gabbe war eine von ihne n, auch Arriane und Cam und die anderen, die Daniel am liebsten waren – Leidtragende seiner Entscheidung. Selb st sein früheres Ich wurde mit aufgerissenen Augen in das schwarze Loch im Himmel gezogen und verschwand darin.
Wieder einmal konnte Daniel nichts tun, um es zu verhindern.
Er wusste, dass die Gefallenen neun Tage unablässig hinabstürzen würden, bevor sie die Erde erreichten. Neun Tage, die er nicht verstreichen lassen konnte, ohne nach ihr zu suchen. Er raste auf den Abgrund zu.
Am Rande des Nichts blickte Daniel hinab und sah einen hellen Fleck, der weiter entfernt war als das Entfernteste, was man sich vorstellen konnte. Es war kein Engel, sondern eine Kreatur mit gewaltigen schwarzen Flügeln, die dunkler waren als die Nacht. Und sie flog auf ihn zu, nach oben. Wie war das möglich?
Daniel hatte Luzifer gerade oben bei dem Gericht gesehen. Er war als Erster gestürzt und sollte tief unten sein. Es konnte dennoch niemand anders sein. Daniels Blick schärfte sich, und seine Flügel brannten vom Ansatz bis zur Spitze, als ihm klar wurde, dass die Kreatur jemanden unter dem Flügel trug.
» Lucinda !« , rief er, aber die Bestie hatte sie bereits fallen gelassen.
Seine Welt hörte auf sich zu drehen.
Daniel sah nicht, wohin Luzifer nun flog, denn er hielt quer über den Himmel auf Luce zu. Das Brennen ihrer Seele war so hell und so vertraut. Er schoss vorwärts, die Flügel dicht an den Körper gelegt, damit er schneller fiel, als möglich schien, so schnell, dass die Welt um ihn herum verschwamm. Er streckte die Hand aus, und …
Sie landete in seinen Armen.
Sofort schlugen seine Flügel nach vorne und bildeten einen Schutzschild um sie herum. Sie wirkte zuerst erschrocken, als sei sie gerade aus einem schrecklichen Traum erwacht, und schaute tief in seine Augen, dann seufzte sie erleichtert auf. Sie berührte seine Wange und strich mit den Fingern über die kribbelnden Ränder seiner Flügel.
»Endlich«, hauchte er.
»Du hast mich gefunden«, flüsterte sie.
»Immer.«
Direkt unter ihnen erleuchteten die gefallenen Engel den Himmel wie tausend helle Sterne. Sie schienen von dem Sog einer unsichtbaren Kraft zusammengezogen zu werden und klammerten sich während des langen Sturzes vom Himmel aneinander. Es
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