Engelsflammen: Band 3 (German Edition)
war.
Aber wie es die Art der Engel war, hatte sein Körper sich schneller und vollständiger geheilt, als seine Seele es jemals vermochte.
Seine Knochen waren wieder zusammengewachsen. Seine Wunden verschlossen sich zu sauberen Narben und waren mit der Zeit ganz verschwunden. Seine zerfetzten Organe gesundeten. Nur allzu bald war sein Herz wieder stark und schlug.
Es war Gabbe, die ihn mehr als einen Monat später gefunden hatte, Gabbe, die ihm geholfen hatte, aus der Felsspalte zu kriechen, die seine Flügel geschient und ihn von diesem Ort fortgetragen hatte. Sie hatte ihm das Gelübde abgenommen, es nie wieder zu tun. Sie hatte ihn schwören lassen, nie die Hoffnung zu verlieren.
Und jetzt war er wieder hier. Er erhob sich und stand schwankend über dem Abgrund.
»Bitte nicht. Um Himmels willen, tu das nicht! Ich könnte es einfach nicht ertragen, wenn du springen würdest.«
Es war nicht Gabbe, die jetzt auf dem Berg mit ihm sprach. Diese Stimme troff von Sarkasmus. Daniel wusste, wem sie gehörte, noch ehe er herumfuhr.
Cam lehnte lässig an einer Wand aus hohen schwarzen Steinblöcken. Über der farblosen Erde hatte er einen riesigen Gebetsteppich ausgebreitet, der aus dicken Strängen burgunderroten und ockerfarbenen Garns gewebt war. Er hielt eine verkohlte Yakkeule in der Hand und biss ein großes Stück von dem sehnigen Fleisch ab.
»Ach, was soll’s.« Cam zuckte die Achseln und kaute. »Nur zu, spring. Irgendwelche letzten Worte, die ich Luce ausrichten soll?«
»Wo ist sie?« Daniel ging auf ihn zu und ballte dabei die Fäuste. War der Cam, der vor ihm lümmelte, der Cam dieser Zeitperiode? Oder war er ein Anachronismus, der wie Daniel in der Zeit zurückgereist war?
Cam schleuderte den Yakknochen über den Felsrand, stand auf und wischte sich die fettigen Finger an seiner Jeans ab. Anachronismus, entschied Daniel.
»Du hast sie mal wieder knapp verpasst. Warum hast du so lange gebraucht?« Cam hielt ihm einen kleinen, randvoll mit Essen beladenen Blechteller hin. »Klößchen? Sie sind göttlich.«
Daniel schlug den Teller zu Boden. »Warum hast du sie nicht aufgehalten?« Er war auf Tahiti gewesen, in Preußen und jetzt hier in Tibet, und das Ganze in weniger Zeit, als ein Sterblicher brauchen würde, um eine Straße zu überqueren. Immer hatte er das Gefühl, Luce dicht auf den Fersen zu sein. Und immer entzog sie sich ihm. Wie schaffte sie es, stets schneller zu sein als er?
»Du hast gesagt, du brauchst meine Hilfe nicht.«
»Aber du hast sie gesehen?«, fragte Daniel scharf.
Cam nickte.
»Hat sie dich gesehen?«
Cam schüttelte den Kopf.
»Gut.« Daniel ließ die Augen über den kahlen Berggipfel schweifen und versuchte, sich Luce dort vorzustellen. Er warf einen schnellen Blick in die Runde, auf der Suche nach Spuren von ihr. Aber da war nichts. Graue Erde, schwarzer Fels, der schneidende Wind, überhaupt kein Leben hier oben – es schien ihm der einsamste Ort auf Erden zu sein.
»Was ist passiert?«, nahm er Cam ins Verhör. »Was hat sie getan?«
Cam lief lässig einmal um Daniel herum. »Sie hat, anders als der Gegenstand ihrer Zuneigung, ein untadeliges Timing. Sie ist genau im richtigen Moment gekommen, um ihren eigenen prachtvollen Tod mitanzusehen – ein guter diesmal, sieht ziemlich umwerfend aus vor dieser schroffen Landschaft. Selbst du musst das zugeben. Oder nicht?«
Daniel riss seinen Blick von ihm los.
»Jedenfalls, wo war ich? Hmm, ihr eigener prachtvoller Tod, das sagte ich bereits … ah, ja! Sie ist gerade lange genug geblieben, um zu sehen, wie du dich in den Abgrund gestürzt und vergessen hast, deine Flügel zu benutzen.«
Daniel ließ den Kopf hängen.
»Das kam nicht so gut an.«
Daniels Hand schnellte vor und packte Cam an der Gurgel. »Und ich soll glauben, dass du nur zugesehen hast? Du hast nicht mit ihr geredet? Hast nicht herausgefunden, wo sie als Nächstes hingeht? Hast nicht versucht, sie aufzuhalten?«
Cam ächzte und entwand sich Daniels Griff. »Ich war nicht einmal in der Nähe. Als ich diese Stelle erreichte, war sie schon weg. Noch einmal: Du hast gesagt, du brauchst meine Hilfe nicht.«
»Tue ich auch nicht. Halte dich heraus. Ich regele das alleine.«
Cam lachte in sich hinein, ließ sich wieder auf den Gebetsteppich fallen und legte die Beine vor sich übereinander. »Die Sache ist die, Daniel«, begann er und hob eine Handvoll getrockneter Goji-Beeren an die Lippen. »Selbst wenn ich darauf vertrauen würde, dass du diese
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