Engelsflammen: Band 3 (German Edition)
Masken. Ihre Trommeln schlugen im Einklang, schneller und schneller, bis jemand aus der Tür trat.
Der Mann war größer als die Trommler. Unter einem hohen rotweiß gefiederten Kopfschmuck war sein ganzes Gesicht mit einem dichten türkisfarbenen Linienmuster bemalt. Sein Hals, seine Handgelenke, seine Knöchel und seine Ohrläppchen waren mit der gleichen Art von Knochenschmuck verziert, die Bill Luce gegeben hatte. Und er trug einen langen, mit aufgemalten Federn und glänzenden weißen Scherben geschmückten Stock. An einem Ende funkelte etwas Silbernes.
Als er sich den Menschen zuwandte, verstummte die Menge beinahe wie durch Magie.
»Wer ist dieser Mann?«, flüsterte Luce Bill zu. »Was tut er?«
»Das ist der Stammesführer, Zotz. Ziemlich hager, nicht? Die Zeiten sind hart, wenn dein Volk seit dreihundertvierundsechzig Tagen keinen Regen gesehen hat. Nicht dass sie das an diesem steinernen Kalender dort drüben abzählen würden oder so.« Er zeigte auf eine graue Steinplatte, die mit Hunderten rußiger schwarzer Linien beschriftet war.
Kein Tropfen Wasser seit fast einem Jahr? Luce konnte den Durst der Menschenmenge beinahe spüren. »Sie sterben«, sagte sie.
»Sie hoffen, nicht. Hier kommst du ins Spiel«, erwiderte Bill. »Du und einige andere arme Teufel. Daniel auch – er spielt allerdings nur eine kleine Rolle. Chaak hat inzwischen sehr großen Hunger, deshalb heißt es wirklich, alle Mann an Deck.«
»Chaak?«
»Der Regengott. Die Maya haben die absurde Vorstellung, dass die Lieblingsspeise eines zornigen Gottes Blut ist. Verstehst du, worauf ich hinauswill?«
»Menschenopfer«, sagte Luce langsam.
»Jepp. Dies ist der Beginn eines langen Opfertages. Noch mehr Schädel für die Gestelle. Aufregend, nicht?«
»Wo ist Lucinda? Ich meine, Ix Cuat?«
Bill zeigte auf den Tempel. »Sie ist mit den anderen Opfern da drinnen eingesperrt und wartet auf das Ende des Ballspiels.«
»Das Ballspiel?«
»Diese Menge ist auf dem Weg dorthin, die Leute wollen es sich ansehen. Der Stammesführer veranstaltet nämlich gerne ein Ballspiel vor einer großen Opferzeremonie.« Bill hustete und strich seine Flügel zurück. »Es ist eine Art Kreuzung zwischen Basketball und Fußball, bei der jede Mannschaft nur zwei Spieler hat, der Ball eine Tonne wiegt und den Verlierern der Kopf abgeschlagen wird, damit man Chaak ihr Blut zu trinken geben kann.«
»Auf den Platz!«, rief Zotz laut von der obersten Stufe des Tempels. Die Mayaworte klangen seltsam kehlig und waren für Luce dennoch verständlich. Sie fragte sich, wie Ix Cuat sich fühlen mochte, eingesperrt in dem Raum hinter Zotz.
Die Menge brach in Jubel aus. Dann erhoben sich alle gleichzeitig und rannten auf einen Bau am anderen Ende der Ebene zu, der wie eine große steinerne Arena aussah. Er war rechteckig und flach – ein Spielfeld aus brauner Erde, umgeben von einer treppenförmigen Tribüne.
»Ah – da ist ja unser Junge!« Bill deutete auf jemanden in den vordersten Reihen der Menge, die sich dem Platz näherte.
Ein schlanker, muskulöser Junge rannte schneller als die anderen. Er wandte Luce den Rücken zu. Sein Haar war dunkelbraun und glänzend, seine Schultern sonnengebräunt und mit verschlungenen roten und schwarzen Streifen bemalt. Als er den Kopf etwas nach links drehte, konnte Luce einen schnellen Blick auf sein Profil erhaschen. Er war ganz anders als der Daniel, den sie im Garten ihrer Eltern zurückgelassen hatte. Und doch …
»Daniel!«, sagte Luce. »Er sieht aus …«
»Er sieht anders aus und trotzdem genau wie immer?«, fragte Bill.
»Ja.«
»Du erkennst seine Seele wieder. Egal wie ihr beide ausseht, ihr werdet immer die Seele des anderen erkennen.«
Bis jetzt war es Luce gar nicht in den Sinn gekommen, wie bemerkenswert es war, dass sie Daniel in jedem Leben erkannte. Ihre Seele fand seine Seele. »Das ist … wunderschön.«
Bill kratzte mit einer knorrigen Kralle an einem Stück Schorf an seinem Arm. »Wenn du das meinst.«
»Du hast gesagt, Daniel habe irgendwie mit dem Opfer zu tun. Er ist ein Ballspieler, nicht wahr?«, fragte Luce und reckte den Hals in Richtung der Menge, gerade als Daniel in der Arena verschwand.
»Ja«, bestätigte Bill ihre Vermutung. »Es gibt da eine reizende kleine Zeremonie« – er zog eine steinerne Braue hoch –, »in der die Gewinner die Opfer in ihr nächstes Leben führen.«
»Die Gewinner töten die Gefangenen?«, sagte Luce leise.
Sie beobachteten die Menge, während sie
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