Engelsflammen: Band 3 (German Edition)
grausig, wie es aussieht.«
Erschreckt wirbelte sie herum. Aber es war nur Bill.
»Wo bist du gewesen? Wo sind wir hier?«
»Es ist eine große Ehre, so aufgespießt zur Schau gestellt zu werden«, erklärte er und marschierte geradewegs auf die zweite Reihe von unten zu. Er sah einem Kopf in die Augen. »Diese ganzen unschuldigen Lämmchen fahren direkt in den Himmel auf. Genau das, was die Gläubigen wollen.«
»Warum hast du mich hier mit diesen …«
»Ach, komm schon. Sie werden schon nicht beißen.« Er warf ihr einen Seitenblick zu. »Was hast du mit deinen Klamotten gemacht?«
Luce zuckte die Achseln. »Es ist heiß.«
Er stieß einen langen Seufzer gekünstelter Weltmüdigkeit aus. »Jetzt frag mich, wo ich gewesen bin. Und diesmal bitte nicht in diesem tadelnden Ton.«
Ihr Mund zuckte. Bills gelegentliches Verschwinden hatte etwas Undurchsichtiges. Aber jetzt stand er vor ihr, die kleinen Klauen hinter dem Rücken verschränkt, und sah sie mit einem unschuldigen Lächeln an. Sie seufzte. »Wo bist du gewesen?«
»Einkaufen!« Vergnügt streckte Bill beide Flügel aus und präsentierte einen hellbraunen Wickelrock, der von einer Flügelspitze herabhing, und eine kurze, passende Tunika, die an der anderen Spitze hing. »Und die Krönung des Ganzen« , sagte er und zog hinter seinem Rücken eine klobige weiße Kette hervor. Knochen.
Sie nahm die Tunika und den Rock, lehnte jedoch die Kette winkend ab. Sie hatte genug Knochen gesehen. »Nein, danke.«
»Wenn du dich unauffällig unters Volk mischen willst, musst du das Zeug tragen.«
Luce überwand ihren Abscheu und zog sich die Kette über den Kopf. Die polierten Knochenstücke waren auf irgendeine Art von Faser aufgefädelt worden. Die Kette war lang und schwer und, wie Luce zugeben musste, doch ganz hübsch.
»Und ich denke, das hier« – er gab ihr einen bemalten Metallreif – »kommt in dein Haar.«
»Woher hast du die Sachen?«, fragte sie.
»Sie gehören dir. Ich meine, nicht dir als Lucinda Price, aber sie gehören dir schon, in einem größeren kosmischen Sinne. Sie gehören dem Du, das aus diesem Leben stammt – Ix Cuat.«
»Ix wer?«
»Ix Cuat. Dein Name in diesem Leben hat ›Kleine Schlange‹ bedeutet.« Bill beobachtete, wie ihr Gesichtsausdruck sich veränderte. »In der Mayakultur war es ein Kosewort. Jedenfalls so was Ähnliches.«
»So wie es eine Ehre war, wenn der eigene Kopf auf einen Stock aufgespießt wurde?«
Bill verdrehte seine steinernen Augen. »Sei nicht so ethnozentrisch. Das bedeutet, dass man seine eigene Kultur anderen Kulturen für überlegen hält.«
»Ich weiß, was es bedeutet«, gab sie zurück und drückte sich den Reif in ihr schmutziges Haar. »Aber ich bin nicht überlegen. Ich würde es bloß nicht so toll finden, wenn mein Kopf in einem dieser Gestelle stecken würde.« Ein schwaches Dröhnen wie von fernen Trommeln war zu hören.
»Genau das Gleiche hätte Ix Cuat auch gesagt! Du warst immer ein bisschen schwer von Begriff!«
»Wie meinst du das?«
»Verstehst du, du – Ix Cuat – wurdest während der Unglückstage geboren, das sind diese fünf merkwürdigen Tage am Ende des Mayajahres, und die Leute sind total abergläubisch, weil sie nicht in den Kalender passen. Etwa so wie Tage in einem Schaltjahr. Es bringt einem nicht gerade Glück, an einem dieser Tage geboren zu werden. Also hat es niemanden gewundert, dass du eine alte Jungfer geworden bist.«
»Alte Jungfer?«, wiederholte Luce. »Ich dachte, ich wäre nie älter als siebzehn geworden … mehr oder weniger.«
»Hier in Chichén Itzá ist siebzehn uralt«, erklärte Bill, der von einem Kopf zum nächsten flog. Seine Flügel summten beim Flattern. »Aber es stimmt, du bist früher nicht älter als siebzehn oder so geworden. Es ist schon ein Rätsel, warum du im Leben von Lucinda Price so lange durchhältst.«
»Daniel hat gesagt, es liege daran, dass ich nicht getauft worden bin.« Jetzt war Luce sich sicher, Trommeln zu hören – und dass sie näher kamen. »Aber warum ist das wichtig? Ich meine, ich wette, dass Ix-Ca-soundso getauft wurde …«
Bill machte eine wegwerfende Handbewegung. »Taufe ist nur ein Wort für eine Art Sakrament oder Bund, bei dem deine Seele mehr oder weniger eingefordert wird. So etwas Ähnliches hat so ziemlich jeder Glauben. Christen, Juden, Mohammedaner, selbst die Maya, die gleich vorbeimarschieren werden« – er nickte in Richtung der Trommeln, die jetzt so laut waren, dass Luce sich fragte,
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