Engelsgesicht
Bäckerei anrufen.
Die Chefin meldete sich und erklärte ihm, dass Silvia nicht zur Arbeit gekommen war.
»Warum nicht?«
»Sie hat sich zwei Tage Urlaub genommen, Herr Pfarrer. Wussten Sie das nicht?«
Cliff Lintock wollte sich nicht blamieren. »Doch, doch, ich habe es gewusst. Jetzt, wo Sie es sagen, fällt es mir wieder ein. Entschuldigen Sie die Störung.«
Sehr rasch legte er auf und fühlte sich selbst wie ein Eiswasser gebadet...
***
Blut! Welch ein Geruch – welch ein Genuss!
Die Frau stöhnte leise vor sich hin und schloss die Augen, obwohl es dunkel um sie herum war. Nichts sollte sie stören. Nichts sollte sie ablenken. Sie wollte sich einzig und allein dem ganz großen Genuss hingeben.
Der Geruch machte sie besonders an. Es war für sie kein normaler Blutgeruch. Hier ging es um etwas anderes. Dieses Aroma brachte ihr eine andere Botschaft mit. Wenn sie es durch den offenen Mund und durch die Nase einatmete, dann hatte sie einfach das Gefühl, die Jugend zu trinken. Oder einen gewissen Teil davon. Sie wurde erfrischt. Das menschliche Blut sorgte in ihrem Innern für eine Erneuerung. Und natürlich auch außen.
Ein Wunder. Ein wirkliches Wunder, immer die Haut einer jungen Frau zu behalten. Nicht mit der Haut zu altern. Keine Falten zu bekommen. Keine hängenden Fettgewebe. Immer straff und stramm zu sein und von allen bewundert zu werden.
Ein Traum?
Nicht mehr, aber auch nicht neu. Vor langer Zeit schon hatte es eine andere Person versucht und war ihren Weg gegangen.
Elisabeth Bathory, die ungarische Adelige, die in die Geschichte des Landes auch als die Blutgräfin eingegangen war. Dank der alten Überlieferungen, die man nur richtig lesen musste, konnte man ebenfalls diesen Zustand erreichen.
Die Frau wollte nicht nur die glatte Haut auf ihrem Körper behalten, für sie war auch das Gesicht wichtig, in dessen Haut sie keine Falten und Unebenheiten sehen wollte. Straff musste sie sein, glatt und auch hell.
Ein besonderes Gesicht erhalten. Das Gesicht eines Menschen, aber auch das eines anderen, eines Engels.
Engelsgesicht!
Das war das Ziel. Das war die große Leidenschaft. Ein Engelsgesicht. Kaum zu beschreiben in seiner absoluten Schönheit. Einfach wunderbar und auch rein. Ohne einen hässlichen Fleck oder Pickel. In einer ätherischen Schönheit strahlend. Erst wenn das erreicht war, dann konnte sie zufrieden sein.
Sie war es noch nicht. Sie musste weitermachen. Das erste Blut hatte nicht ausgereicht. Es war viel zu wenig gewesen, und sie sah es nicht mehr als einen Anfang an. Das große und berühmte Ende würde noch kommen, da war sie sich sicher.
Nackt und mit leicht angezogenen Knien hockte sie in der schmalen Wanne. Es war ein enges Zimmer ohne Fenster. Düster, verliesartig. Es gab kein elektrisches Licht. Wenn sie Helligkeit schaffen wollte, musste sie eine Kerze anzünden. Dann erst wurde der Spiegel an der Wand sichtbar, in den sicherlich auch ihr großes Vorbild, die Gräfin, schon hineingeschaut hatte.
Die Frau bewegte ihre Hände. Sie tauchte sie in das Blut hinein, in dem sie saß. Wasser hätte geplätschert, bei dieser Flüssigkeit war das nicht der Fall. Sie vernahm andere Geräusche, wenn sie sich bewegte. Ein leises Klatschen oder Schmatzen, und sie merkte, wie e s an ihren Händen herablief, als sie die Arme anhob.
Das Gesicht war für die Frau wichtig. Noch einmal tunkte sie die Hände in das Blut und wischte dann über ihr Gesicht hinweg. Sie kreiste mit den Spitzen der Finger auf ihrer Stirn. Sie fuhr damit die Wangen hinab. Sie berührte das Kinn, dann die Haut am Hals und schließlich strich sie über ihre festen Brüste hinweg, die in den letzten Tagen viel straffer geworden waren. Auch dafür war das Blut gut, nicht nur gegen die Falten im Gesicht.
Die Frau lehnte sich zurück. Sie schloss die Augen, um sich voll und ganz auf das Blut konzentrieren zu können, das jetzt an ihrer Haut entlang hinabrann.
Lisa – ich heiße Lisa. Ein Name, der unbedingt passte, denn er leitete sich von Elisabeth ab. Auch das stimmte also. Irgendwie war alles perfekt geworden, und sie fühlte sich dabei als die legitime Nachfolgerin der echten Blutgräfin. Wer konnte schon sagen, ob sie es nicht auch tatsächlich war? Diese Seelenverwandtschaft war einfach unwahrscheinlich, da war der Name beinahe Nebensache.
Lisa – Elisabeth?
Der Name war gefunden, aber es reichte nicht aus. Das wusste sie. Lisa brauchte mehr Blut, viel mehr, und sie war sicher, dass sie es bekommen
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