Engelsgesicht
irre, aber...«
»Vergessen Sie es, Mr. Lintock. Hier wird nichts mehr so sein wie früher. Gar nichts.«
Der Pfarrer nickte. »Wenn du das so sagst, dann möchte ich dir das auch glauben, Diana. Trotzdem fällt es mir schwer. Es gibt wohl keine Beweise für deine Aussagen. Oder beziehst du dich dabei nur auf die beiden Toten?«
»Nein, auf keinen Fall. Sie waren einmal wichtig, doch jetzt haben die Lebenden Priorität.«
»Das haben sie immer.«
Diana Crane räusperte sich. »Ich werde damit aufhören, nur allgemein darüber zu reden, denn bisher habe ich Ihnen die Beweise vorenthalten, Mr. Lintock.«
»Keine Sorge, ich bin ein geduldiger Mensch.«
»Damit muss es bald vorbei sein.«
»Das sehe ich ebenfalls ein.«
Bisher hatten beide direkt nebeneinander gesessen. Das änderte sich nun, denn Diana Crane drehte sich dem Pfarrer zu. Aus ihrem Mund drang kein Wort. Die Lippen lagen aufeinander, und die Augen hatten einen starren Ausdruck bekommen.
Cliff Lintock sagte nichts mehr. Er musste das Feld jetzt der jungen Frau überlassen, die beide Arme senkte und den Saum ihres T-Shirts an verschiedenen Stellen anfasste. Sie hatte es mit einer bestimmten Bewegung getan, und dem Pfarrer schoss durch den Kopf, dass sie es möglicherweise ausziehen könnte.
Genau das tat sie. Es ging alles schnell. Plötzlich hatte sie das Shirt über den Kopf gestreift, und Lintock schaute auf die nackte Haut der jungen Frau und auf die beiden etwas zu den Seiten hingewachsenen Brüste, deren Spitzen wie dunkle Knospen aussahen.
Auch Pfarrer sind nur Menschen oder Männer, zudem saß Diana dicht vor ihm. Trotzdem glitt sein Blick rasch nach unten, und seine Augen weiteten sich. Es war furchtbar, was er da zu sehen bekam. Der Körper der jungen Frau war mit mindestens sechs langen Schnittstellen bedeckt, deren Wunden in einem dunklen Rot schimmerten und kaum verheilt waren.
Lintock schwieg. Nicht aber Diana Crane. »Sehen Sie jetzt, was ich meine?«, fragte sie mit tonloser Stimme...
Ja, er sah es, aber er konnte es nicht fassen. Cliff Lintock hatte das Gefühl, einen Schlag zugleich in das Gesicht und in den Magen erhalten zu haben. Ihm blieb einfach die Luft weg. Er war nicht mehr in der Lage, Atem zu schöpfen. Er zitterte.
Es war ein schlimmer Anblick, den das T-Shirt bisher verborgen hatte. Trotz der Wärme wurde ihm kalt.
Er selbst hatte die beiden toten Mädchen nicht gesehen. Aber diejenigen, die sie gefunden hatten, und ihre Beschreibungen hatten sich im Ort blitzschnell herumgesprochen. So wusste er, wie die Leichen ausgesehen hatten. Sie waren über und über mit Schnittwunden bedeckt gewesen. Es sollte sogar kein Tropfen Blut in ihnen gewesen sein, das jedenfalls war gesagt worden.
Stiche durchdrangen das Herz des Pfarrers. Er spürte, wie es ihm schwindelig wurde.
»Sehen Sie es, Herr Pfarrer?«
»Ja. Wie kann ich daran vorbeischauen?«
»Es geht weiter. Auch bei mir. Und nicht nur bei mir. Auch bei anderen. Bei Frauen, bei sehr jungen Frauen, die dem Teenie-Alter gerade entwachsen sind. Ihr Blut ist das beste. Es ist so frisch und wunderbar, Herr Pfarrer.«
Lintock war plötzlich schweißnass. Sein Herz schlug hart und schnell. »Du sprichst von jungen Frauen, Diana?«, hörte er sich flüstern.
»Ja.«
»Meine Tochter Silvia ist auch jung.«
»Ich weiß.«
Er schnappte nach Luft. »Du kennst sie. Du kennst sie sogar gut. Kannst du mir sagen, was mit ihr ist?«
»Die Gefahr ist überall, Mr. Lintock. Es gibt keinen Ort, an dem man sich vor ihr verstecken kann.«
»Gefahr – Gefahr!«, stieß er hervor. »Von welcher Gefahr sprichst du konkret?«
Diana ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Gelassen streifte sie ihr T-Shirt wieder über, zupfte Falten zurecht und gab erst dann die leise Antwort: »Es ist das Engelsgesicht. Was sonst?«
Da war er wieder! Dieser verdammte Ausdruck, mit dem der Pfarrer wenig anfangen konnte.
»Viel mehr kann ich Ihnen nicht sagen, Mr. Lintock!«
»Doch«, sagte er und dachte dabei auch an seine Tochter. Mit der rechten Hand umfasste der Pfarrer hart die Schulter der jungen Frau. »Du kannst mehr sagen. Du kannst mir erklären, wer sich dahinter verbirgt und wie das verdammte Engelsgesicht aussieht.« Er schüttelte sie durch und stand dicht davor, die Beherrschung zu verlieren. »Alles musst du mir sagen, auch im Namen meiner Tochter. Alles!«
»Sie tun mir weh!«
Lintock ließ nicht ab. Erst als Diana Crane hochsprang und sich seine Hand von ihrer Schulter löste,
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